Immer mehr Touchpoints der Customer Journey im B2B sind digital. Und die Hoheit darüber hat das Marketing. Das ist eine enorme Chance: Das Marketing könnte zur zentralen Analyse- und Steuerungsinstanz im Unternehmen werden – sofern es jetzt die Weichen dafür stellt.
Die Digitalisierung verändert unsere Welt in einem Tempo wie keine andere Technologie je zuvor. Sie ermöglicht es Unternehmen, Prozesse besser zu analysieren und zu automatisieren und dadurch effizienter und schneller zu werden. Eine Studie des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) spricht von durchschnittlich 32 Prozent Produktivitätssteigerung durch die Digitalisierung. Gleichzeitig bringt die Digitalisierung völlig neue Geschäftsmodelle sowie neue digitale Produkte und Dienstleistungen hervor. Digitale Produkte und Dienstleistungen, die meist digital vertrieben werden. Und schließlich hat die Vielzahl digitaler Kommunikationskanäle auch den Kaufprozess der B2B-Entscheider wesentlich verändert.
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Customer Journey: Die meisten Touchpoints sind digital
B2B-Käufer informieren sich heute bevorzugt online über Produkte und Anbieter. Sie recherchieren in Fachportalen und Magazinen, auf Anbieterwebsites und in Social Media. Wenn sie dann Kontakt zu einem Anbieter aufnehmen, sind sie bereits bestens informiert. Aufgabe des Vertriebsmitarbeiters ist es dann nicht mehr, das Unternehmen und die Produkte zu erklären, vielmehr geht es darum, den Interessenten seinem Bedarf entsprechend gezielt zu betreuen. Mit der Digitalisierung haben sich somit die Aufgaben verändert – im Vertrieb, aber auch im Marketing.
Das Marketing hat eine Reihe von Aufgaben hinzugewonnen, für die früher noch der Vertrieb zuständig war. Hier ist vor allem die Leadgenerierung zu nennen, die sich heute zu großen Teilen auf Corporate Websites und in Social Media abspielt – in Kanälen also, die das Marketing verantwortet. Werden Produkte oder Services über einen Online-Shop vertrieben, liegt sogar der Kaufabschluss in den Händen des Marketings.
Die meisten Touchpoints der Customer Journey sind digital und liegen in den Händen des Marketings.
(Quelle: https://rezolto.com/2018/03/21/customer-journey-mapping-video-guide/)
Wenn das Marketing somit weite Teile der Customer Journey steuert, steckt darin großes Potenzial: Denn wer die Touchpoints besitzt, verfügt auch über die Kundendaten – die wichtigste Währung im digitalen Zeitalter. Gelingt es, diese Daten intelligent zu nutzen, könnte das Marketing jene Führungsrolle übernehmen, die ihm eigentlich als Funktion zusteht.
Marketing ist mehr als Kommunikation
Marketing ist der Lehre nach ein „duales“ Konzept: Es ist einerseits eine Führungsphilosophie, bei der es darum geht, die Führung des gesamten Unternehmens auf den Markt und den Kunden auszurichten. Andererseits ist es eine Unternehmensfunktion, die operative Instrumente gestaltet, um Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Diese Instrumente sind vor allem die klassischen „4 P“ des Marketing-Mix: Kommunikationspolitik, Preispolitik, Distributionspolitik und Produktpolitik.
Soweit zumindest die Theorie. Denn die Praxis der Unternehmen sieht anders aus. So gaben in der bvik-Studie „Marketing-Budgets 2017“ über die Hälfte der B2B-Marketingabteilungen an, dass sie keinen starken Einfluss auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens haben. Hier ist das Marketing weit entfernt davon, als „marktorientierte Unternehmensführung“ verstanden zu werden.
Die Praktiker sehen Marketing vielmehr als Unternehmensfunktion. Doch auch dies nur eingeschränkt. Denn sie haben längst nicht auf alle vier Ps des Marketing-Mixes Zugriff. In der Regel sind sie nur für die Kommunikationspolitik zuständig: Zu den Kernaufgaben der Marketingabteilungen zählen laut bvik-Studie Werbung, Messen, Online-Marketing und PR. Mit der Preisgestaltung beispielsweise beschäftigen sich nur neun Prozent. Markus Voeth, Professor für Marketing und Business Development an der Uni Hohenheim bringt es auf den Punkt: „Die Marketingfunktion hat ein organisatorisches Downgrading erfahren, ihr Führungsanspruch verkümmert zunehmend.“
Und es könnte noch schlimmer kommen: Im Zuge der Digitalisierung könnten andere Abteilungen sogar Teile der Kommunikationspolitik übernehmen und damit für einen weiteren Bedeutungsverlust des Marketings sorgen. Schon heute ist für viele digitale Produkte kaum Außenvertriebsarbeit nötig, weil sie über einen Online-Shop vertrieben werden. Hier liegen Teile der Customer Journey bereits in den Händen der Produktentwicklung.
Hop oder top? Die Datenkompetenz entscheidet
Ob das Marketing an Bedeutung gewinnen oder verlieren wird, hängt also davon ab, ob es die Datenhoheit an den Touchpoints behält und diese auch gezielt auswertet, um Mehrwerte für das Unternehmen zu schaffen:
- Zu welchem Preis wird ein Produkt wann in welchem Land verkauft?
- Welche Produktfeatures werden von den Kunden wie genutzt?
- Über welche Kanäle kaufen Kunden wann und in welchen Mengen?
- Wo und wie informieren sie sich? Wem vertrauen sie? Für welche Themen interessieren sie sich?
All dies lässt sich aus den vorhandenen Daten auslesen und für die Gestaltung von Produkt, Preis und Kommunikation nutzen. Das Problem ist nur: Die nötigen Kompetenzen sind meist nicht vorhanden. Viele Unternehmen fangen gerade erst an, in Data Analytics zu investieren und entsprechende Spezialisten einzustellen. Die entscheidende Frage ist, welche Abteilung dabei die führende Rolle übernimmt: IT? Produktentwicklung? Oder das Marketing?
Marketing ist die Spinne im Netz
Die Marketingabteilung hat die beste Ausgangsposition, um zur zentralen Analyseinstanz zu werden: Sie besitzt heute die entscheidenden Touchpoints, sie kennt Kunden und Märkte oft besser als andere Abteilungen, sie steuert die Kundenkommunikation. Und sie arbeitet schon jetzt interdisziplinär mit Vertrieb, IT und anderen Bereichen zusammen. Sie ist „die Spinne im Netz“, die alles verbindet. Diese ureigene Stärke gilt es, besser auszuspielen und gleichzeitig Kompetenzen für Data Analytics aufzubauen. Und zwar bevor es andere Abteilungen tun.
Die Stärke des Marketings liegt in der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, die Fähigkeit zur Datenanalyse ist eher schwach ausgeprägt.
(Quelle: bvik-Studie “Marketing-Budgets 2017”, Frage 13: Wie beurteilen Sie das für die Digitalisierung notwendige Know-how Ihrer Marketingmitarbeiter im Vergleich zum digital stärksten Wettbewerber?)
Natürlich sind dafür Investitionen nötig. Doch diese lohnen sich allemal angesichts der Mehrwerte, die dadurch geschaffen werden können: Ein besseres Kundenverständnis versetzt Unternehmen in die Lage, sich in allen Bereichen – von der Produktgestaltung bis zur Kommunikation – konsequent an den Kundenwünschen zu orientieren. Und nur wer hier die besten Lösungen anbietet, wird letztlich im Wettbewerb bestehen.
Die Digitalisierung bietet somit die Chance für eine echte Kundenorientierung auf der Basis von Daten und kann gleichzeitig dem Marketing zu der Rolle verhelfen, die es der Lehre nach haben müsste – eine Instanz, die alle Instrumente des Marketing-Mix steuert und dazu beiträgt, das gesamte Unternehmen am Markt auszurichten.