Morgen ist alles anders. Unsere Datenspuren im Netz werden uns so gläsern machen, dass uns Produkte und Leistungen nur so zufliegen, weil findige Algorithmen unsere Wünsche vorhersehen und uns gewissermaßen von den Augen – oder Daten – ablesen.
Werbung im klassischen Sinne wird verschwinden. Unser eigenes Verhalten bestimmt, über welche Produkte und Leistungen wir in Zukunft mehr erfahren. Roboter werden unsere Profile erstellen, Insights daraus bauen und unsere Bedarfe und Wünsche vorhersagen, noch bevor sie uns tatsächlich bewusst sind. Plakate werden über Künstliche Intelligenz erkennen, wer sich in deren Nähe befindet. Wer mit Hund an der Bushaltestelle wartet, wird mit Tierfutter konfrontiert. Wer ein Kind bei sich hat, mit entsprechenden Kinder-Angeboten. Ein digitales Schlaraffenland. Zumindest, wenn wir das so wollen. Aber kommt das alles wirklich so, selbst wenn es technisch keine Utopie mehr ist?
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Wer braucht schon Marken, wenn er Daten hat.
Fest steht jedenfalls heute schon, dass unsere digitalen Bewegungs- und Suchprofile erlauben, uns als Konsumenten zu analysieren, Muster unserer Gewohnheiten herauszuarbeiten und damit unser Verhalten vorherzusehen. Was vielleicht sogar unserem Bewusstsein bisher verborgen blieb: im grellen Licht der digitalen Scheinwerfer kommt es zutage.
Manche Auguren behaupten, dies führe unweigerlich zum Tod der Marken, denn die intelligente Datenanalyse würde selbst die unausgesprochenen Wünsche oder Bedürfnisse bereits einer Lösung zuführen, bevor wir überhaupt nach einer Befriedigung gefragt haben. Noch ehe wir auf Amazon überhaupt den Kaufen-Button gedrückt haben, steht der Paketbote breit grinsend bereits vor der Tür und überbringt uns, wonach uns insgeheim gelüstet hatte. Die gute alte AIDA-Formel schrumpft zusammen: schon mit der „Attention“ kommt von der anderen Seite bereits die „Action“.
Klar: im Prinzip stimmt das. Gerade Amazon arbeitet auf diese Weise schon und packt quasi Päckchen, noch bevor wir das Produkt in den Warenkorb gelegt haben – einfach nur, weil unser Verhalten nahelegt, dass wir das Produkt kaufen werden.
Algorithmen finden Produktlösungen – aber keine Präferenzen
Die Informationsphase einer Kaufentscheidung ist bereits heute nahezu vollständig ins Netz gewandert. Und klar: hier suchen wir zunächst nicht unbedingt nach Marken oder Herstellern, sondern vielleicht nach Kategorien wie „Logistiklösungen“ oder „Schweißroboter“. Dann kommen als Ergebnis wahlweise einzelne Anbieter, Produkte, Plattformen oder Foren. Bei überschaubaren Produkten im B2B vielleicht sogar Verkaufsplattformen wie Amazon.
Aber ist dies das Ende der Marke? Ich glaube nicht. Denn unsere Kaufentscheidung am Ende des Prozesses orientiert sich dann unweigerlich doch wieder an Marken. Ganz einfach deswegen, weil Marken uns auch eine emotionale Heimat geben. Weil wir sie in unser Leben aufnehmen wie gute Bekannte. Wir akzeptieren ihre Werte, ihre Haltung, ihre Themen, weil sie optimal zu unseren (Wert-)Vorstellungen passen.
Das gilt insbesondere auch für den B2B-Bereich, in dem Marken wie nirgendwo sonst für Vertrauen stehen. Dafür, die richtige Entscheidung und Investition getroffen zu haben; dafür, Sicherheit zu geben. Daher ist fraglich, ob sich beispielsweise Amazon im B2B wirklich durchsetzen wird. Komplexe, erklärungsbedürftige Produkte und Lösungen sind hier kaum angemessen darstellbar. Mal ganz abgesehen davon, dass B2B-Marken ihre Stärken auf solchen Plattformen kaum ausspielen können und sich lediglich dem Kreuzfeuer eines gewaltigen Preiskampfes aussetzen.
Aber zurück zur Marke. Wer heute deren Tod postuliert, verkennt deren Potenzial, Vertrauen zu schaffen; gerade im B2B, wo wir nicht allein Produkte kaufen, sondern eher Beziehungen zu Unternehmen. Zudem werden im B2B-Segment Marken eben meist auch durch Menschen repräsentiert. Sie stehen nicht im Supermarktregal. Sowohl bei der Beratung wie beim Abschluss oder der Nachkaufbetreuung wollen wir doch immer noch mit Menschen aus Fleisch und Blut zu tun haben. Einem Algorithmus kann man nicht in die Augen schauen oder seinen vertrauensvollen Händedruck spüren. Algorithmen bahnen Deals an, die Menschen abschließen.
Customer Journeys im B2B: Mensch und Maschine
Gerade im B2B-Bereich werden wir innerhalb der sog. Customer Journey immer wieder viele Kontaktpunkte haben, bei denen der Mensch eine wichtige Rolle spielt: in der persönlichen Empfehlung, im Gespräch auf der Messe, im Kontakt mit dem Außendienst usw.
Alle diese Kontaktpunkte sind wichtig in unserer persönlichen Entscheidungsfindung wie auch in der Markenbildung, weil sie Marke erfahrbar machen. Und diese Funktion der Marken kann uns kein noch so guter Suchalgorithmus abnehmen. Das ist der zutiefst menschliche Teil, der am Ende immer uns selbst überlassen bleibt, weil er nicht delegierbar ist. Immer vorausgesetzt, wir haben noch eine echte Wahl. Denn wo Monopole den Markt beherrschen, wird Branding zum absurden Schauspiel.
Technische Möglichkeiten sind auch Ergebnis gesellschaftlicher Entscheidungen
Aber vergessen wir eines nicht: Zukunft passiert nicht einfach. Sie überrollt uns nicht wie ein Tsunami in der Nacht und lässt uns zurück mit den Trümmerteilen unseres heutigen Lebens. Erinnern Sie sich noch an die Science-Fiction-Fantasien Ihrer Kindheit? Ginge es nach ihnen, müssten wir heute, im Jahr 2018, bereits in schimmernden Kugeln in unseren Städten umherfliegen, Meetings mit Hologrammen machen oder zum Urlaub in entfernte Galaxien gebeamt werden.
Zukunft kommt manchmal langsamer als wir denken. Und nicht in allen Facetten, die technisch vielleicht denkbar oder machbar sind. Weil wir uns als gesellschaftlich organisierte Wesen zuweilen fragen, ob technisch Machbares auch immer menschlich Wünschenswertes ist. Die gesellschaftliche Haltung dazu wandelt sich, das ist keine Frage. Beim Bau der ersten Eisenbahn, der Adler, wurde 1835 diskutiert, ob der Mensch jener rasenden Geschwindigkeit physisch und psychisch überhaupt gewachsen sei. Der Zug fuhr maximal 65 km/h.
Wir brauchen heute einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie wir in Zukunft leben wollen. Diese Diskussion wird meiner Ansicht nach viel zu selten geführt und geht an den Kernproblemen unserer Gesellschaft oft vorbei. Zu diesem Diskurs gehört auch, dass wir entscheiden, wie gläsern wir als Menschen und Konsumenten werden wollen und inwieweit wir uns dem Einfluss von Marketing-Robotern entziehen möchten.
Aber das ist ein anderes Thema.
“Branding adds spirit and a soul to what would otherwise be a robotic, automated, generic price-value proposition. If branding is ultimately about the creation of human meaning, it follows logically that it is the humans who must ultimately provide it.” ― David A. Aaker