[no_toc]TIK-Referenten im Gespräch: Anders Indset (Wirtschaftsphilosoph)
Im Interview mit dem bvik spricht TIK-Referent Anders Indset über seine Rolle als Wirtschaftsphilosoph. Er erklärt, wie der Mensch auch in Zukunft noch eine wichtige Rolle in der digitalen Arbeitswelt spielen kann, warum es wichtig ist, die Zukunft selbst zu gestalten und, wie es ihm persönlich gelingt, mit seinem Publikum eine Symbiose zwischen Herz und Verstand zu entwickeln.
In seiner Keynote “WAS KOMMT NACH DER DIGITALISIERUNG? Quantenwirtschaft – Das Unerwartete erwarten” beim TAG DER INDUSTRIEKOMMUNIKATION 2019 erklärt Anders Indset, wie wir mit den permanenten Veränderungen und Revolutionen der digitalen Welt umgehen müssen und eine „Gesellschaft des Verstandes“ schaffen können.
Inhaltsverzeichnis
bvik: Herr Indset, Sie sind Wirtschaftsphilosoph. Was genau versteckt sich hinter dem Begriff?
Anders Indset: Ich lebte ein Leben als „Hardcore-Kapitalist“. Doch immer, wenn es um die Fragen „investieren“ oder „aussteigen“ ging, spürte ich, dass ein Leben mit Luxusgütern und viel Geld auf Dauer nutzlos für das eigene Glück ist. Ich begann die Arbeiten der Führungskräfte zu hinterfragen. In meinen Sparrings mit CEOs und Politikern kam mir immer wieder dieselbe Frage: Warum steht man sich selbst so im Weg? In der Philosophie wurde mir bewusst, dass der Kapitalismus, so wie in den 90er Jahren gedacht, unseren Planeten und unsere humanistische Basis des Zusammenlebens auf Dauer zerstören wird. Zum ersten Mal ohne Businessplan habe ich mich der Philosophie und dem lebenslangen Lernen hingegeben und bin überzeugt: Unsere Führungskräfte von heute brauchen die Philosophie von gestern, gepaart mit der Technologie und Wissenschaft von morgen. Wenn wir die Wirtschaft und die Philosophie stärker verbinden, wenn wir die Schätze der Vergangenheit retten und auf das 21. Jahrhundert projektieren, können wir Fortschritt erzielen und neues Wissen erlangen. Mein Anspruch ist es, das Wissen der Vergangenheit für die Wirtschaft von morgen nutzbar zu machen. Die praktische anwendbare Philosophie und einen Ansatz die Wirtschaft neu zu denken ist für mich der Weg, um eine erstrebenswerte Zukunft zu kreieren.
Gibt es in der hoch technologisierten und digitalen (Arbeits-)Welt überhaupt noch Platz für den „Faktor Mensch“?
Indset: Einst bedeutete Autorität Muskeln und physische Kraft, dann folgte Information. Temporäre Monopole konnten anhand von Wissen und Information aufgebaut werden, weil Unternehmen und Menschen Zugang zu Information hatten, die andere zu diesem Zeitpunkt nicht hatten. Heute ist das anders. Weitere Fortschritte und Entwicklungen für die Menschheit können nur gelingen, wenn wir enger zusammenarbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass das Herz in Zukunft die Autorität ist. Wenn es also noch Menschen in einer organisierten Form des Zusammenleben geben soll, dann ist jetzt die Zeit, dass der “Faktor Mensch” für alle in der Welt an erster Stelle steht. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht ein großer Teil der heutigen Jobs durch die Technologie und Automatisierung wegfallen wird. Es liegt aber an uns, die Welt zu kreieren, in der wir leben wollen. Meine Antwort auf die Frage lautet also eindeutig „ja“. Es ist so viel Platz für den Menschen wie wir ihm geben. Ich halte es aber für genauso plausibel, dass wir eine neue Blüte der Menschheit kreieren können anstelle der so häufig erwähnten eher dystopischen Szenarien. Wir müssen aber was tun, jeder muss jetzt “zukünften”.
In einem Interview sprachen Sie kürzlich von “fataler Informationsgesellschaft“ und „Des-Informationsgesellschaft“. Können Sie näher erläutern, was Sie damit meinen?
Indset: Wir wachen jeden Tag ein bisschen dümmer auf. Die Lücke zwischen dem, was wir wissen könnten und dem, was wir tatsächlich wissen, steigt exponentiell. Aktuelle Studien aus meiner Heimat Norwegen belegen sogar, dass unser IQ leicht nach unten geht. Wir haben einen Überfluss an Information geschaffen und können das weder speichern noch prozessieren, denn unser Körper ist kein leistungsstarker Computer. Es ist aber auch nicht mehr erforderlich, denn wir haben heute in der Hosentasche (durch unser Smartphone) mehr Zugang zu Information und Wissen als der Präsident der Vereinigten Staaten in der 70er-Jahren. Mit diesem Überfluss kommen wir nicht klar. Wir können nicht unterscheiden, was ist Wissen und was ist Fake. Durch das Volumen an Eindrücken und Informationen werden wir zunehmend zu Reaktionsweisen und funktionieren nur noch. Ein Problem welches wir ohne eine Verschmelzung mit der Technologie – wobei wir uns ganz genau überlegen sollten, ob wir das überhaupt wollen – nicht lösen würden. Um dieser Abwärtsspirale entgegenzuwirken, werden wir die rasante Entwicklung von Blockchain und „Allgemeine Künstliche Intelligenz“ (AKI) ab sofort nur willkommen heißen und streben eine “Wissens-Gesellschaft” an. Der Haken an der Sache: Damit verlagern wir alle unsere Autoritäten in Algorithmen und leben in einer vorvalidierten Gesellschaft basierend auf unserer Vergangenheit. In einer Welt von absoluter Transparenz und von Maschinen generiertem Vertrauen machen wir uns selbst überflüssig, die Menschen werden irrelevant. Um zu neuem Wissen zu gelangen, müssen wir weiterhin Fehler machen, wir brauchen die “fehltastische” Eigenschaften von Menschen. Zudem brauchen wir ein größeres Verständnis von dem was wir machen, denn Wissen ist nicht Verstand. Wir brauchen also eine Art Bewusstseinsrevolution, damit wir heute definieren können, wie wir gemeinsam mit digitaler Superintelligenz leben wollen. Kurz gesagt, welche Zukunft ist für uns erstrebenswert?
Als gefragter Redner begeistern Sie weltweit Ihre Zuhörer. Was ist Ihr Geheimnis?
Indset: Ich versuche, komplexe Sachverhalt für den Median – meine Zuhörer – zu adaptieren. Die höchste Komplexität im 21. Jahrhunderts ist für mich die Einfachheit – die Simplifizierung. Es geht aber nicht, oder nicht nur darum, was du sagst oder was du tust, sondern was der Mensch fühlt. Erfahrungsbasiertes Lernen kommt aus einer Mischung aus Entertainment, Education und Empowerment. Du musst etwas fühlen, wenn du etwas nachhaltig Neues lernen möchtest. Du musst eingebunden werden, um zu verstehen. Nur dann kannst du nachhaltig etwas verändern und wir brauchen heute alle eine gewisse Unterhaltung. Jeder meiner Gigs ist für mich eine persönliche Reise, denn ich gehe auf die Bühne und denke laut. Lehren ist Lernen. Die Zuhörer spüren, dass ich kein auswendig gelerntes Skript runterbete, sondern sie stattdessen an meinem Denkprozess teilhaben lasse. So ist es mein Ziel mit meinem Publikum eine Symbiose zwischen Herz und Verstand zu entwickeln.