ChatGPT war ein Weckruf für die Wirtschaft und die Gesellschaft – bis November 2022 schien Künstliche Intelligenz (KI) noch in weiter Ferne zu sein. Über Nacht wurden Geschäftsmodelle und die Tätigkeitsbeschreibungen von Millionen Menschen und Unternehmen weltweit angegriffen.
Welche zukünftigen Entwicklungen wir in dieser und anderen Zukunftsdisziplinen erwarten können und warum es so wichtig ist, sich fortwährend professionell mit Zukunftsszenarien zu beschäftigen, darüber spricht Zukunftsforscher Kai Gondlach beim TIK 2024 und gibt hier im Blog schon erste Einblicke.
bvik: Sie sind Zukunftsforscher, wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen, in welche Glaskugeln schauen Sie dabei?
Kai Gondlach: In Forschungs- und Beratungsprojekten arbeiten wir mit unterschiedlichen Methoden der Sozialwissenschaften und Zukunftsforschung. Aber auch Datenauswertung bzw. datengestützte Analysetools spielen eine wichtige Rolle. Am Ende zählt aber eher die Einschätzung von Expert:innen und Beteiligten. Dann schreibe ich viele Dinge, die ich lernen darf, in Büchern, Blogs, Stellungnahmen oder Gutachten auf. Bekannt bin ich den meisten ja eher durch meine Bühnenauftritte, das heißt, ich sitze auch häufig im Zug oder bereite mich auf die Auftritte vor. Außerdem gibt’s noch meinen Podcast, dort bespreche ich mit klugen Menschen deren Zukunftsbilder. Man sieht: Der Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich.
Vor allem die Themen Künstliche Intelligenz & Nachhaltigkeit im Kontext der Arbeitswelt stehen auf Ihrer Agenda, sind diese Schwerpunkte anhaltend? In anderen Worten, wie beständig ist die Zukunft Ihrer Meinung nach?
KI ist gekommen, um zu bleiben. Bei Nachhaltigkeit ist es etwas anders – hier müssen wir uns kollektiv wieder daran erinnern, dass es unsinnig ist, Schadstoffe zu emittieren oder Dinge zu produzieren, die am Ende ihres Lebenszyklus auf einer Müllkippe oder, noch schlimmer, in der Natur landen. Spannend ist für die kommenden Jahrzehnte, wie gut wir in der Wirtschaft und Technologieentwicklung sind, diese beiden sogenannten Megatrends miteinander zu kombinieren, um Schlimmeres zu verhindern.
Gerade das Thema KI ist aktuell und seit einer Weile in aller Munde: Jeder experimentiert mit generativen KIs und dennoch glauben nach unserer aktuellen Studie des Trendbarometer 2024 nur 50 % der teilnehmenden Marketer, dass generative KI im Laufe des Jahres 2024 standardmäßig für die Content-Produktion genutzt werden wird. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?
Es kommt immer darauf an, welchen Standpunkt ich mitbringe. Auch Marketer unterscheiden sich ja in ihrer Zielgruppe und im Tagesablauf. Generative KI ist eine brillante Stütze dafür, um Inhalte zu kreieren oder Konzepte zu erarbeiten. Auch bei der eigenen Reflexion kann sie hilfreich sein. Aber letztlich brauche ich immer noch die Menschen, die abwägen, ob diese oder jene Botschaft – ein Social Media Post, eine Pressemeldung, eine Aufbauorganisation für ein Start-up – wirklich so sinnvoll ist bzw. wo ich eigene Akzente setze. KI wird die Menschen nicht direkt ersetzen. Zumindest nicht jene, die an ihrer eigenen Weiterentwicklung arbeiten. Und das ist meiner Erfahrung nach im Marketing der Standard.
Gibt es Ihrer Meinung nach Zukunftsthemen, die noch nicht so allgegenwärtig wie Nachhaltigkeit oder KI sind, aber ebenso wichtig?
Das hängt vom Bereich ab, in dem ich mich bewege. Biotechnologien sind schon dabei, einige Grundsätze der Medizin voranzubringen – KI spielt hier zwar manchmal eine Rolle, aber nicht immer. Ein wichtiges Thema, das mir meist nur auf Fachkonferenzen begegnet, ist die Dekarbonisierung und Defossilisierung ganzer Industriezweige. Da spielt Hightech zwar auch eine Rolle, eher aber die Frage, wie wir mit analogen, chemischen oder physischen Prozessen beispielsweise die Effizienz alternativer, regenerativer Kraftstoffe erhöhen können. Das Damoklesschwert der aktuellen Industrialisierung bleibt aber die Frage, inwieweit wir Wachstum brauchen, um den Wohlstand im globalen Norden sichern können, oder wie wir Wachstum umdefinieren können, um es regenerativ zu schaffen. Das Donut-Modell nach Kate Raworth zeigt hier in eine spannende Richtung, stößt aber bei vielen Industriellen noch auf Unverständnis.
Im Arbeitsalltag der Industrie und des B2B-Marketings wird es immer agiler, weil die wirtschaftliche Lage sehr volatil scheint. Planungen werden dadurch immer kurzfristiger und strategische Zukunftsarbeit fällt dem zu Opfer. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen, welche Maßnahmen kann man ergreifen und worauf am besten achten, um zukunftsfähig zu bleiben?
Entscheidungsträger haben in den letzten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten – etwa ab dem Millennium – gemerkt, dass beides Hand in Hand gehen muss. Die Tools dazu sind allerdings noch rar. Hier haben wir im Foresight, also der strategischen Vorausschau an der Schnittstelle von Strategie, Innovation und Zukunftsforschung, einige Lösungen entwickelt; allerdings sind die Strukturen in den meisten Unternehmen noch nicht bereit dafür. Wir stehen da vor einem ähnlichen Dilemma wie das Marketing einst: Es bringt keinen unmittelbaren ROI, kann und wird der Organisation aber auf kurz oder lang sowohl Vorteile in der Resilienz gegenüber Krisen als auch messbare Innovationsvorteile bringen.
Am 27.06. sprechen Sie bei unserer Zukunftskonferenz, dem TAG DER INDUSTRIEKOMMUNIKATION, was können Sie den zukünftigen Teilnehmenden bereits jetzt verraten, was sie erwarten wird?
Es erwartet sie eine Zusammenstellung der dann wichtigsten Entwicklungen in der regionalen und globalen Welt der Zukünfte. Mein Credo „Zukunft ist eine Frage der Perspektive“ deutet schon darauf hin, dass ich kein Prophet bin, sondern Denkanstöße hinsichtlich aktueller und erwartbarer, plausibler Entwicklungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte im Gepäck habe.
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