„KI hat viel Potenzial – doch der gesunde Menschenverstand ist unschlagbar!“

Interview mit Reinhard Karger, M.A., Unternehmenssprecher, DFKI

Reinhard Karger studierte theoretische Linguistik und leitet seit 2000 die Unternehmenskommunikation des Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) – seit 2011 als Unternehmenssprecher.

Beim TAG DER INDUSTRIEKOMMUNIKATION 2018 legt er in seinem Impulsvortrag „Künstliche Intelligenz – Hype oder Hoffnung? Von der wissenschaftlichen Nische zur wirtschaftlichen Schlüsselkompetenz“ den Fokus auf die konkreten Chancen der KI in den Berufs- und Lebenswelten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Im Interview mit dem bvik spricht Karger über die Bedeutung von „Künstlicher Intelligenz“ für das B2B-Marketing und erklärt welchen Mehrwert diese für Marketer bietet.

bvik: Herr Karger, über das Thema Künstliche Intelligenz (KI) wird in letzter Zeit in den Medien sehr viel geschrieben und gesprochen. Wird das Thema aus Ihrer Sicht im öffentlichen Diskurs richtig eingeschätzt und wahrgenommen oder gibt es kritische Verzerrungen, die nicht der Realität entsprechen?

Karger: Künstliche Intelligenz (KI) ist das Mantra der Zeit und Big Money. Bis vor kurzem wollte die Presse wissen, wo gibt es schon KI? Heute fragen die Journalisten, wo ist KI nicht? Künstliche Intelligenz meint die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten. Dazu zählen das Verstehen von Sprache und das Erkennen von Objekten in Bildern, das Produzieren von Sätzen, Texten, von Geschichten oder das „Lesen zwischen den Zeilen“. In den meisten Dimensionen sind Menschen den Maschinen deutlich überlegen, aber die KI- Fortschritte der vergangenen fünf Jahre sind bemerkenswert.
Allerdings ist die aktuelle mediale Darstellung in zwei Richtungen verzerrt. Sie fördert unrealistische Euphorie und gleichzeitig überzogene Befürchtungen. Manche, zum Beispiel Elon Musk, unterstellen ein Drama, schließen leichtfertig auf der Basis der KI-Erfolge in Go oder Schach auf eine heraufziehende digitale Superintelligenz. Aber die Summe der einzelnen KI-Anwendungen ergibt eben kein integriertes Ganzes, sondern bleibt eine Ansammlung von nützlichen Spezial-Assistenten. KI-Anwendungen ermöglichen neue Geschäftsmodelle, neue Services, neue Consumer Electronic, aber sie führen eben nicht zu einem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

bvik: Welche Probleme kann KI für Marketing und Kommunikation heute bereits lösen?

Karger: KI hilft, Big Data als Smart Data besser nutzen zu können. Profilierung hilft, den Kunden besser zu verstehen, Personalisierung hilft, den Kunden besser anzusprechen. Informationsextraktion und die Analyse des Sentiments helfen, Feedback in Echtzeit auszuwerten und erleichtern eine angemessene, zeitnahe und für beide Seiten hilfreiche Reaktion. Darüber hinaus hilft Objekterkennung dabei, passende Fotos zu finden. Maschinelle Übersetzung unterstützt multilinguale Kommunikation. Auf den Kunden zugeschnittene Texte können automatisch aus Datenbanken produziert werden und Firmen können auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene künstliche Stimmen als Corporate Voice einsetzen. Sehr viele Online-Berichte zu Sport, Wetter oder der Börse sind auch heute schon maschinenerzeugte Texte, die Aktualität und Lokalität ermöglichen – ohne redaktionelle Kosten zu erzeugen. Der Marketer sollte sich deshalb fragen, auf welche Echtzeitdaten er zugreifen, wie er Echtzeitkommunikation treiben kann.

bvik: Ein kurzer Blick in die Zukunft: Was sind Ihrer Meinung nach Einsatzmöglichkeiten von KI, die erst in einigen Jahren so weit entwickelt sind, dass sie auf breiter Basis in Unternehmen eingesetzt werden können?

Karger: KI hat unglaublich viel Potenzial, aber der gesunde Menschenverstand ist unschlagbar. Menschen sind Meister darin, Komplexität zu reduzieren und dann das Richtige zu tun. Wir haben eine Meisterschaft, die wir meisterlich unterschätzen. Die neue Kampagne, der springende Punkt, die gute Idee wird man von Menschen bekommen können, aber noch nicht von Maschinen erwarten dürfen. Die Frage ist aber: Was wird kommen? Unternehmensübergreifende Prozessanalyse und automatisierte Verbesserung von Wertschöpfungsketten. Effiziente Multikanalkommunikation. Unterstützung von Wissensarbeitern auf der Basis planbasierter Absichts- und Vorgangserkennung. KI wird sicherlich Talenterkennung, Qualifizierung, Teambuilding, Kunden-Beziehungsmanagement verbessern. Außerdem wir KI sehr leistungsfähig sein, deshalb sollte man heute schon darüber reden, welche Leistung man will.

bvik: Stichwort Chatbots – eher ein überbewerteter Hype oder bald Realität im B2B-Marketing?

Karger: Die aktuellen Chatbots und digitalen Assistenten sind in den vergangenen Jahren deutlich leistungsfähiger geworden, bleiben aber noch weit hinter den Wünschen und verständlichen Erwartungen der Nutzer zurück. Sie eignen sich primär für Gerätesteuerung oder sehr simple Voice Commerce Verkaufsdialoge, erfüllen aber nicht die Rolle eines tatsächlichen Assistenten, von dem man deutlich mehr Informationskompetenz erwartet. Aber Chatbots können den Kauf- oder Bestellprozess tatsächlich effizienter machen, ganz bestimmt machen sie einen Anbieter erreichbarer für seine Kunden und ermöglichen 24/7-Kommunikation. Wichtiger als die digitalen Consumer-Assistenten, die gesprochene Dialoge ermöglichen sollen, werden Systeme sein, die eine komplexe Produktanfrage mit einem konkreten Angebot beantworten und einen Smart Contract anstoßen. Das spart Klicks und Nerven und wird die Conversion Rate erhöhen.

bvik: Welche Fähigkeiten müssen Marketer der Zukunft Ihrer Meinung nach mitbringen, um neben den Maschinen bestehen zu können? Werden die „kreativen“ Tätigkeiten in den Fokus gerückt?

Karger: Neugierig werden, sein und bleiben sind die wichtigsten Fähigkeiten für Marketer. Der Marketer sollte helfen, das Wissen des Unternehmens aus der Marktperspektive zu erschließen und zu formalisieren. Er sollte die Corporate Datenkultur entwickeln, Datenerhebung betreiben und Datenmehrwerte identifizieren. Außerdem ist es seine Aufgabe, smarte Technologien zu evaluieren, um die Mehrwerte zu realisieren und den Schatz heben zu können. Ganz wichtig ist aber, dass Marketingtreibende wirklich verstehen – den menschlichen Faktor, die eigenen Produkte und natürlich auch den Kunden. Ein sehr gutes Beispiel sind Messen. Eigentlich ist die ursprüngliche Motivation für die Aussteller und Messebesucher obsolet – man kann sich sehr umfänglich und multimedial über neue Produkte informieren. Wenn man das so sieht und ehrlich ist, würde man Messen theoretisch nicht mehr brauchen. Dann stellt sich aber die Frage: Warum gibt es sie und warum sind sie erfolgreich? Die Antwort ist jedoch ganz einfach: Menschen wollen mit Menschen Geschäfte machen und sich in die Augen schauen, denn in der Begegnung entsteht Vertrauen.

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