Bundesverband Industrie Kommunikation e.V.

Prof. Dr. Huttelmaier über Pains und Gains von Marketing & Sales Automation

[no_toc] Wann wird Marketing & Sales Automation zum Erfolg im B2B? Großes Potenzial liegt in der Automatisierung von internen Aufgaben. Dabei gilt es aber genau abzuwägen, an welcher Stelle Automatisierung tatsächlich Sinn macht. Effektivität der Prozesse und Personalisierung müssen auf lange Sicht das Ziel sein. Kontinuierliche Investitionen in Mitarbeiter und Systeme sowie Management-Support ist ausschlaggebend für den Erfolg. B2B-Kompetenz-Werkstatt-Dozent Prof. Dr. Hannes Huttelmaier beantwortet im Gespräch mit dem bvik einige interessante Fragen, die man sich zu diesem Trend-Thema je nach eigener Expertise im Unternehmen stellen sollte.

 

Inhaltsverzeichnis

bvik: Lieber Herr Professor Huttelmaier, Sie sind Spezialist im Bereich Digital B2B Marketing & Sales und beraten darüber hinaus auch Geschäftsführer zu Marketing- und Vertriebsthemen. Befragt man B2B-Marketer nach der Definition von „Marketing & Sales Automation“ so unterscheiden sich die Antworten doch oft recht stark voneinander. Was verbirgt sich wirklich hinter der Begrifflichkeit?

Hannes Huttelmaier: Auf hoher Flugebene unterscheidet sich das Verständnis gar nicht so sehr. In der Regel wird Marketing & Sales Automation als die technologie- und algorithmen-gestützte – und damit zu einem gewissen Grad automatisierte – Durchführung von Marketing- und Vertriebsaufgaben definiert. In der Tat gibt es aber weder unter Marketern noch in der Wissenschaft einen Konsens, was unter Marketing & Sales Automation konkret zu verstehen ist. Dies hat meines Erachtens zwei Ursachen:

Wichtiger als eine konkrete Definition erscheinen mir drei Dinge:

  1. sollten wir Marketing & Sales Automation nicht rein auf die Automation und Personalisierung der Kommunikation mit (potenziellen) Kunden reduzieren. Großes Potenzial – und meines Erachtens die Voraussetzung für eine erfolgreiche Kundenkommunikation – liegt in der Automatisierung von internen Aufgaben. Denken Sie z.B. an Themen wie die Sammlung, Analyse und zielgruppengerechte Aufbereitung von Markt- und Kundendaten. Oder die Unterstützung des Vertriebs bei Forecasting, Angebotserstellung, Pricing, oder Order Management.
  2. bedeutet Automation nicht zwingend, dass Prozesse oder Aufgaben völlig ohne menschliches Eingreifen ausgeführt werden. Automation ist nicht „entweder oder“, sondern ein Kontinuum und wir müssen sehr genau hinschauen, welche Marketing- und Vertriebsaktivitäten sich für welchen Grad der Automation eignen. Nur weil es technisch möglich ist, einen Prozess vollständig zu automatisieren, ist das noch lange nicht sinnvoll.
  3. sollte Marketing & Sales Automation nicht ausschließlich mit dem Ziel eingesetzt werden, Effizienzgewinne zu erzielen. Marketing- und Vertriebsprozesse effizienter zu gestalten, indem wir nicht jede Aufgabe immer wieder aufs Neue manuell ausführen müssen, ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt. Im Fokus sollte aber immer auch Effektivität stehen. Denn Automation ist ein hervorragendes Mittel, um Personalisierung – und damit eine verbesserte Customer Experience – zu ermöglichen.

Laut bvik-Trendbarometer 2021 stimmen 73 % aller Befragten zu, dass Marketing Automation in den nächsten drei Jahren Standard wird, um den Vertrieb und das Marketing nachhaltig zu unterstützen. Lässt sich dieser Trend auch in der Praxis feststellen? Wie weit sind die Industrieunternehmen Ihrer Erfahrung nach tatsächlich?

Hannes Huttelmaier: Tatsächlich beobachten auch wir diesen Trend in der Praxis. Die Corona-Pandemie hat Marketing allgemein, insbesondere aber das digitale, analytische und automatisierte Marketing schlagartig an Bedeutung gewinnen lassen. Das Gros der Industrieunternehmen ist aber von einem sehr niedrigen Niveau gestartet. Entsprechend skeptisch stehe ich der Aussage gegenüber, dass Marketing Automation in den nächsten drei Jahren Standard wird, um den Vertrieb und das Marketing nachhaltig zu unterstützen. Selbst viele Industrieunternehmen, die Marketing Automation seit längerer Zeit einsetzen, kommen häufig nicht über ein mit einer Landing-Page startendes, regelbasiertes E-Mail-Marketing hinaus. Ich wage zu bezweifeln, dass derartige Lösungen den Vertrieb nachhaltig unterstützen. Hier besteht Luft nach oben.

Selbstverständlich aber gibt es Industrieunternehmen, die Marketing & Sales Automation recht umfassend und versiert einsetzen. Der regelbasierte E-Mail-Versand oder das teilautomatisierte Management der Social Media Accounts sind hier nicht mehr die Kernthemen, sondern z.B. wie der selbstlernende Next Best Offer Algorithmus weiter optimiert werden kann. Man kann davon ausgehen, dass die Schere zwischen solchen Best-in-Class Unternehmen und Unternehmen, die sich noch nicht mit Marketing Automation beschäftigen, weiter aufgehen wird. Dies liegt insbesondere daran, dass in cloud-basierten Systemen ständig neue Funktionen hinzukommen. Fortgeschrittene Nutzer können sich darauf fokussieren, diese innovativen Funktionen sinnvoll einzusetzen, während neue Nutzer immer größere Schwierigkeiten bekommen werden, die Komplexität der verfügbaren Systeme in den Griff zu bekommen und die Basics zu implementieren.

Auch die bvik-Community berichtet in verschiedenen Befragungen, zuletzt im Fokusteil der diesjährigen bvik-Studie „B2B-Marketing-Budgets“, von Stolpersteinen bei bereits implementierten Marketing Automation Systemen und von Hürden bei der Einführung solcher Systeme. (Am häufigsten wurden dabei genannt: Fehlende Datenqualität, fehlende Gesamtstrategie, fehlende Ressourcen im Team) Was muss bei der Einführung einer Marketing & Sales Automation vorab im gesamten Unternehmen unbedingt beachtet werden?

Hannes Huttelmaier: Zu diesem Thema wurde bereits sehr viel geschrieben und gesagt. Ich möchte deshalb lediglich auf drei Punkte eingehen, die den Erfolg von Marketing- und Sales-Automation ganz grundlegend beeinflussen:

  1. Marketing, Vertrieb und Geschäftsleitung müssen sich darüber im Klaren sein, dass es nicht damit getan ist, eine Software einzuführen. I.d.R. müssen Denkweisen, Strukturen und Prozesse dauerhaft geändert werden. Zudem bedarf es einer ständigen Anpassung und Weiterentwicklung von Technologie, Algorithmen, Methoden, Content und mehr. Anstelle einer Einmalinvestition sind deshalb kontinuierliche Investitionen in Mitarbeiter und Systeme sowie Management-Support ausschlaggebend für den Erfolg.
  2. Typischerweise haben wir im klassischen B2B-Geschäft noch immer den klaren Lead beim Vertrieb, und Marketing wird als dessen „Anhängsel“ betrachtet. Aus einer solchen Position kann Marketing keine Wirkung entfalten. Vor der Einführung einer Marketing- & Sales-Automation-Lösung sollte deshalb sichergestellt sein, dass die Bedeutung von Marketing – auf Augenhöhe und im Team mit dem Vertrieb – in der gesamten Organisation verstanden und verankert ist. Hierzu sind i.d.R. organisatorische Änderungen nötig.
  3. Die Einführung muss von Beginn an ein gemeinsames Projekt von Marketing und Vertrieb sein. Ein Alleingang durch das Marketing führt nicht nur aufgrund von Akzeptanzproblemen, sondern auch aufgrund fehlender Kenntnisse fast zwangsweise zum Scheitern. 

Ganz generell bietet es sich an, groß und strategisch zu denken, eine saubere Analyse vorzuschalten, klare Prioritäten und Ziele zu setzen, um dann klein und agil zu starten und die Lösung Schritt für Schritt auszuweiten.

Der aktuelle bvik-Zertifikatskurs „Marketing- & Sales-Automation erfolgreich einführen!“, den Sie als Dozent bei der B2B-Kompetenz-Werkstatt anbieten, setzt beim Grundlagenwissen an, um sich im Bereich Marketing & Sales Automation sicher bewegen zu können. Was dürfen die Teilnehmer:innen noch vom Kurs erwarten?

Hannes Huttelmaier: Mir ist wichtig, dass die Teilnehmer:innen den Kurs nicht bloß mit zusätzlichem Wissen, sondern mit neuen Skills, konkreten Ideen und ersten Prototypen verlassen. B2B-Marketer und Entscheider in KMUs, die Marketing- & Sales-Automation nicht nur verstehen, sondern konkrete Einsatzmöglichkeiten für ihr Unternehmen identifizieren und umsetzen möchten, erwarten deshalb intensive Hands-on-Workshops.

In diesen identifizieren wir gemeinsam automatisierbare Prozesse in Marketing und Vertrieb und designen für ausgewählte Prozesse passende Workflows. Diese setzen wir in Open Source Software – oder gerne auch in einer von Teilnehmer:innen ggf. bereits eingesetzten Software – um. Best-Practices aus der B2B-Unternehmenspraxis und ein gezielter Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmer:innen runden den Kurs ab. Das Seminar richtet sich dabei vornehmlich an Personen, die bislang noch wenig Erfahrung mit dem Thema „Marketing & Sales Automation“ haben und einen kompakten, fundierten Einstieg suchen.

Was kann Marketing & Sales Automation für den Vertrieb leisten? Und wie sieht aus Ihrer Sicht die perfekte Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb aus?

Hannes Huttelmaier: Marketing Automation hilft – wenn richtig umgesetzt – auf effiziente Weise, zukünftige, potenzielle Kunden möglichst frühzeitig in ihrem Entscheidungsprozess abzuholen und effektiv zu unterstützen. Eine höhere Lead-Qualität bei gleichzeitig geringerem Aufwand für den Vertrieb ist die Folge. Wenn die Interaktionen an den verschiedenen Touchpoints dem Vertrieb systematisch zugänglich gemacht werden, profitiert er zudem von spezifischerem Wissen über Kunden und ihre Bedürfnisse und kann diese hierdurch noch gezielter ansprechen und bearbeiten.

Bei Bestandskunden hilft Marketing Automation z.B. dabei, ohne größeren Aufwand in Kontakt zu bleiben. Dies kann vor allem bei C-Kunden hilfreich sein, die naturgemäß nicht so stark im Fokus des Vertriebs stehen. Denken Sie aber auch an Anknüpfungspunkte, die sich aus interessantem Content oder vertieftem Wissen über den Kunden und die im Einsatz befindlichen Produkte (z.B. aus Maschinen- oder Produktionsdaten) ergeben.

Sales Automation hilft dem Vertrieb, repetitive Vertriebsaktivitäten effizienter durchzuführen. Aber auch Entscheidungsunterstützung im Sinne von Next Best Actions, welche Kunden besucht werden sollten etc. können Effektivität und Effizienz des Vertriebs steigern.

Die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb ist ein schwieriges Thema. In einer perfekten Welt spielen sich zwei gleichberechtigte Partner die Bälle gegenseitig zu, teilen alle Informationen und arbeiten auf derselben Datenbasis. Sie haben dasselbe Ziel, verfolgen dieses aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In vielen B2B-Unternehmen sind wir hiervon noch weit entfernt. Um das volle Potenzial von Marketing und Sales Automation auszuschöpfen, ist eine möglichst enge Verzahnung von Marketing und Vertrieb aber notwendig. Marketing sollte dabei nicht nur – wie traditionell üblich – die ersten Schritte der Customer Journey begleiten, sondern seine Aktivitäten auf alle Schritte ausweiten.

 


Mehr zum Thema

Wer B2B-Kunden personalisiert, effektiv & effizient erreichen will, ist hier richtig:

B2B-Kompetenz-Werkstatt zu Marketing- & Sales-Automation. Los geht es am 28.10.2021.

 

 

 

Die diesjährige bvik-Studie “B2B-Marketing-Budgets” beschäftigt sich im Fokusteil ebenfalls mit dem Thema Marketing Automation. Hier standen vor allem die Hürden und aktuellen Herausforderungen im Mittelpunkt.

Hier geht es zu den Studien-Ergebnissen

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