Rund jedes fünfte Unternehmen greift im Kundenservice bereits auf KI-gestützte Technologien zurück. Häufigster Grund dafür ist die Erwartung einer schnelleren Bearbeitung von Anfragen sowie die Entlastung der Mitarbeiter von manuellen Routine-Arbeiten (Esker, 2023). KI erhöht die Effizienz von Unternehmen – das ist klar. Aber wo bleibt der Kunde in dieser Rechnung?
Profitiert er wirklich von einer schnelleren Bearbeitung seiner Anfragen oder bleibt das Erlebnis und somit auch die Bindung zur Marke auf der Strecke? Dazu haben wir mit Prof. Dr. Alexander Lutz, Professor für Wirtschaftsinformatik*, gesprochen. Dieser Artikel basiert auf den wichtigsten Erkenntnissen, die wir aus dem Interview gewonnen haben.
* Affiliation: FOM Hochschule of Applied Sciences in the field of Business Informatics, Essen, Germany.
Inhaltsverzeichnis
KI ist nicht gleich KI
Gleich vorneweg: Nicht alles was umgangssprachlich als KI bezeichnet wird, zählt zur künstlichen Intelligenz. Hierbei gilt es insbesondere die Automatisierung, also regelgeleitete Prozesse, abzugrenzen. Denn ein automatisierter Prozess ist noch kein Kriterium für tatsächliche künstliche Intelligenz. Ein Beispiel für eine „echte“ KI wäre wie folgt: Eine Bank verwendet eine Software, die den Mitarbeiter dabei unterstützt, den Kunden gleich zu Beginn des Kontaktes in Bezug auf die Sach- und Emotionslage richtig zu verstehen. Dabei zeichnet die Software – mit Einverständnis des Anrufers – das Telefonat auf und erkennt mithilfe eines Transkripts nicht nur das Anliegen, sondern auch die Stimmung des Anrufers.
Auf dieser Informationsbasis entscheidet die KI dann, welcher interne Ansprechpartner für den jeweiligen Kunden der Beste ist. Ein aufgebrachter und langjähriger Kunde wird dann beispielsweise direkt an eine erfahrene Mitarbeiterin mit entsprechender Entscheidungsbefugnis durchgestellt, so dass das Problem schnell behoben werden kann und der Kontaktpunkt Service-Hotline nicht noch zusätzliche Frustration erzeugt. In diesem Beispiel agiert die KI im Hintergrund und hat vorrangig die Aufgabe, den Mitarbeiter in den Fokus zu stellen und diesen bei seiner Arbeit zu befähigen.
Effizienz alleine begeistert noch keine Kunden
Unternehmen verfolgen in der Regel das Ziel, Zeit und Geld zu sparen. Dieser effizienzgetriebene Gedanke kann durch den richtigen Einsatz von KI nachhaltig verfolgt werden. Doch nicht selten bleibt das Kundenerlebnis dabei auf der Strecke. Denn seien wir mal ehrlich: Wann wurden Sie das letzte Mal von einem Chatbot begeistert? Wahre Begeisterungsmomente entstehen durch den „Faktor Mensch“ – dadurch, dass ein Mitarbeiter uns zuhört, unser Anliegen ernst nimmt und sein Bestes gibt, eine Lösung zu finden. Diese emotionale Ebene kann eine Maschine nicht abdecken.
Wir stehen gerade erst am Anfang
Der Einsatz von KI in Unternehmen wird zukünftig keine Besonderheit, sondern der Normalfall sein. Bestimmte Aufgaben werden wie selbstverständlich an eine KI delegiert werden, wodurch auch neue Jobs, die sich um die Bedienung dieser KIs kümmern, entstehen. Diese Entwicklung wird – hoffentlich – neben der Effizienzsteigerung das Ziel verfolgen, dem Kunden ein optimales Erlebnis bieten zu können.
Drei Thesen zum Einfluss von KI auf die Markenführung
Mithilfe von künstlicher Intelligenz können Unternehmen langfristig ihre Markenführung verbessern und so das Kundenerlebnis auf ein neues Level heben. Auf Basis unseres Interviews mit Prof. Dr. Alexander Lutz, fortlaufender Gespräche mit Kunden und Experten sowie aktuellen Studien fassen wir die zukünftigen Chancen in Form von drei Thesen zusammen:
These 1: KI macht die Werkzeuge zur Markenführung besser
Viele Unternehmen bedienen sich bereits heute an verschiedensten Tools aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Bilderkennung, Machine Learning, Sprachverarbeitung oder Text-to-Speech decken hierbei nur einen Bruchteil der Möglichkeiten ab. Ziel der Unternehmen ist es in der Regel ihre Zielgruppen besser zu verstehen, sie zielgerichtet anzusprechen sowie Leads automatisch qualifizieren zu können. Marken haben somit die Chance, ihre Effizienz zu steigern und ihre wertvolle Ressource „Mensch“ für andere Aufgaben einzusetzen.
These 2: KI hat das Potenzial, neue und innovative Markenerlebnisse zu schaffen
Der Einsatz von KI kann über die reine Effizienzsteigerung jedoch weit hinaus gehen. Marken haben die Möglichkeit, mithilfe von künstlicher Intelligenz innovative und differenzierende Kundenerlebnisse zu schaffen und somit völlig neue Angebote entstehen zu lassen. Smartwatches könnten beispielsweise individuell auf den Nutzer abgestimmte Trainingseinheiten basierend auf Gesundheits-, Wetter- und Ernährungsdaten vorschlagen. Kühlschränke könnten vollautomatisiert Vorräte auffüllen und Einkäufe planen – je nach Präferenzen und Anwesenheiten einzelner Familienmitglieder. Durch solche nutzengetriebenen Innovationen können Marken hochrelevante Angebote und somit langfristige Präferenzen bei ihren Kunden schaffen.
These 3: Durch den Einsatz von KI wird der Mensch in der Kundeninteraktion eine noch wichtigere Rolle spielen
Diese Aussage erscheint zunächst widersprüchlich, da die Mehrheit aller Kundeninteraktionen zukünftig entweder automatisiert oder mithilfe künstlicher Intelligenz abgewickelt werden. Doch auch zu dieser Entwicklung wird sich ein Gegentrend abzeichnen: Die bewusst eingesetzte Interaktionen mit einem Menschen als Differenzierungsfaktor einer Marke. Der berühmte „Faktor Mensch“ kann insbesondere in der Luxus- und Premiumbranche dabei helfen, den Mehrpreis zu rechtfertigen und das Kundenerlebnis wieder ein Stück weiter persönlicher und individueller zu gestalten.
Wir sehen also: Die richtige Balance aus Effizienzsteigerung, neuen Angeboten und der bewusste Einsatz des persönlichen Kundenkontakts kann Marken dabei helfen, auch zukünftig wirklich begeisternde Kundenerlebnisse zu schaffen.
Das vollständige Interview mit Prof. Dr. Alexander Lutz können Sie hier downloaden.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Text bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in der Regel die männliche Form gewählt. Selbstverständlich gelten sie im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter. Die verkürzte Form hat ausschließlich redaktionelle Gründe und stellt keine Wertung dar.
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