„Voice-Marketing wird eine Herausforderung!“ – Interview Teil 2

[no_toc] Im zweiten Teil des Interviews erklärt Prof. Dr. Seon-Su Kim (Leitung Campus Bad Mergentheim, Duale Hochschule Baden-Württemberg Mosbach), welche Rolle Hochschulen im Veränderungsprozess spielen, welche Skills Marketing-Nachwuchskräfte in Zukunft benötigen und wohin die Reise im Marketing gehen könnte.

Prof. Dr. Seon-Su Kim, Leitung Campus Bad Mergentheim, DHBW Mosbach

Prof. Dr. Seon-Su Kim absolvierte sein Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Ruhr-Universität in Bochum und promovierte dort zum Thema „Die Bedeutung des internen Marketing im Rahmen der Internationalisierung von Unternehmungen“. Anschließend arbeitete er als Berater für Marketing und Kommunikation sowie als Business Development Manager im Industriesektor mit den Schwerpunkten B2B-Marketing, Vertrieb und strategische Geschäftsfeldentwicklung. Aktuell ist Kim als Professor in den Bereichen B2B-Marketing und Industrielles Service Management tätig, Leiter des Campus Bad Mergentheim sowie Projektleiter des Kompetenzclusters Digitalisierung der DHBW Mosbach. Bildquelle: DHBW Mosbach

 

bvik: Herr Professor Kim, die Digitalisierung führt zu Changeprozessen, die die Arbeitswelt stark verändern. Welche Rolle spielen Hochschulen im Kontext der aktuell stattfindenden Veränderungsprozesse im Bereich Marketing und Kommunikation? Wie muss der Marketing-Studiengang der Zukunft aussehen?

Prof. Dr. Seon-Su Kim: Die Rolle der Hochschulen hat sich durch die Digitalisierung im Kern nicht verändert. Natürlich ist es Aufgabe der Hochschulen, im Rahmen eines akademischen Studiums oder akademischer Weiterbildung auch die Aspekte der Digitalisierung im Marketing mit all ihren Facetten aufzunehmen, zu vermitteln, weiterzuentwickeln und auch neue Impulse zu geben.
Beim bvik-Trendbarometer 2018 haben „leider“ nur etwa ein Drittel der Befragten zugestimmt, dass die Ausbildung und akademische Bildung gute Fachkräfte für die zukünftigen Herausforderungen im B2B-Marketing liefert und ein weiteres Drittel konnte dem nur „teils/teils“ zustimmen. Arbeitgeber in der B2B-Industrie sowie im B2B-Dienstleistungsbereich haben hier also schon letztes Jahr gewisse Defizite gesehen. Es ist anzunehmen, dass die Einschätzung ein Jahr später in 2019 sich nicht erheblich verändert hat. Aus dem bvik-Trendbarometer 2019 und insbesondere den freien Kommentaren wird zum Teil ersichtlich, dass nicht nur das Wissen im Bereich Big Data & Co fehlt (siehe 1. Teil des Interviews), sondern offensichtlich auch keine guten Use Cases – also realistische, nachvollziehbare und auch sinnvolle Anwendungsfälle aus der Praxis – bekannt sind. Ich denke, an dieser Stelle können und sollten insbesondere die dualen Studiengänge sowie die Hochschulen für angewandte Wissenschaften noch etwas aufholen und sich intensiver wie auch noch viel sichtbarer mit den anwendungsorientierten Fragen und Tools der Digitalisierung im Marketing beschäftigen. Ich persönlich halte es für wichtig, dass an der Hochschule die Lehrenden nicht nur lehren, warum Digitalisierung so wichtig ist für das Marketing und ob und wie die Digitalisierung (theoretisch) funktioniert, sondern das digitale Marketing zumindest für einige Bereiche auch selbst angewendet haben und beherrschen. Ich bin mir nicht sicher, ob beziehungsweise wie viele jemals selbst Landingpages entwickelt, Anzeigen auf Google, Facebook oder Instagram geschaltet und ausgewertet, eine E-Mail-Aktion mit A/B-Testing durchgeführt oder einen Marketing-Automation-Kampagne mit all ihren Fallen in der operativen Umsetzung ausprobiert haben. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Welche Themen sind demnach elementar wichtig für die Marketing-Nachwuchskräfte?

Kim: Mit Blick auf Künstliche Intelligenz, Big Data und Data Analytics spielen natürlich die Kompetenzen im Bereich der quantitativen Methoden und analytischen Tools eine wesentliche Rolle. Und mindestens genauso wichtig ist dabei der sachliche und (selbst)kritische Umgang mit Daten, Logiken und Tools im Kontext des Digitalen Marketings. Diese „Grundtugenden“ im Marketing sind nicht neu und wurden oder werden in manchen Bereichen vielleicht nicht immer so ausführlich behandelt, wie man es bräuchte. Aber soweit ich das zum Beispiel im Kreise der deutschsprachigen Marketing- und Kommunikationsprofessoren und -professorinnen etwa über die Arbeitsgemeinschaft für Marketing überblicke (zu AfM siehe auch http://arbeitsgemeinschaft.marketing), habe ich schon den positiven Eindruck, dass inzwischen einige Hochschulkolleginnen und -kollegen sehr engagiert und vor allem sehr anwendungsorientiert die Digitalisierung ins Marketingstudium integrieren und vorantreiben.

Ein kurzer Blick in die Zukunft. Welche Trends – die heute vielleicht noch überhaupt nicht auf dem Radar haben – werden die Zukunft des Marketings bestimmen?

Kim: Bereits auf dem Radar aber im B2B noch kaum in Erscheinung getreten ist das ganze Thema „Voice-Marketing“. Die Vorboten mit Alexa, Siri, Google Assistant und anderen zeigen uns sehr deutlich, was auch im B2B-Bereich in Zukunft zu erwarten ist. Hier wird es zum Beispiel bei der Suche nach Produkten oder Anbietern zukünftig nicht mehr ausreichen, auf der ersten Seite der Suchanfrage zu erscheinen. Der Sprachassistent wird im Zweifel nur noch die erste oder die beste Lösung nennen und keine zahlreichen weiteren Alternativen. Darüber hinaus kann eine Künstliche Intelligenz auch die Kundenbewertungen im Netz und ihre eigenen bisherigen Erfahrungen etwa aus ihrer internen Datenbank mit auswerten und damit die Auswahl entsprechend einschränken. Wer bei dieser Voice-Produktabfrage nicht genannt wird, wird im Zweifel nicht mehr relevant für den Kunden sein. Das wird eine sehr interessante Herausforderung für das Marketing und die Kommunikation werden, vor allem, wenn man das Ganze auch international betrachtet.
Und über die Suche und das Ausführen von Aktionen per Sprache hinaus, wird es hier ganz andere interessante Anwendungen geben. Künstliche Intelligenz wird die Sprache der Kunden an der Hotline oder beim Verkaufsgespräch im Hintergrund analysieren, dabei den emotionalen Zustand der Kunden feststellen und dann dem Vertrieb oder dem Service Hinweise geben, wie man am besten reagieren sollte, um die Customer Experience möglichst positiv zu gestalten.

Was müssen Unternehmen tun, um den Anschluss nicht zu verlieren?

Kim: Den Unternehmen muss bewusst sein, dass entsprechendes Expertenwissen auch oder insbesondere für den Marketing- und Kommunikationsbereich aufgebaut werden muss. In erster Linie ist hier die Managementebene in der Pflicht, den Handlungsbedarf zu erkennen. Schon immer ist professionelles und erfolgreiches Marketing durch eine strukturierte und analytische Vorgehensweise geprägt, welches entsprechend auch eine gute Analyse des Marktes und insbesondere der Marktsegmente bzw. der Kunden beinhaltet. Inzwischen verfügt jedes Unternehmen über unzählige und nicht mehr überschaubare Marketing- und Kommunikationskontaktpunkte sowie über noch mehr interne Quellen etwa im Einkauf, in der Produktion und in der Logistik, die wiederum Unmengen an Informationen und Daten mit sich bringen. Eine professionelle Marketingabteilung kann und sollte in der Lage sein, all diese Daten sinnvoll miteinander zu verknüpfen, um damit wichtige Fragen im Kontext von Markt, Wettbewerb und Kunden zu beantworten. Nur wer diese Fragen schnell und gut beantworten kann, wird in der Lage sein, schneller und besser im Markt zu agieren. Das Marketing kann und sollte als unternehmensweite Aufgabe und Orientierung im Sinne der marktorientierten Unternehmensführung verstanden werden. Gute Marketingleute müssen dieses Verständnis nicht zusätzlich lernen, denn sie beherrschen bereits eine strukturierte und analytische Vorgehensweise. Hier fehlt vielleicht nur noch das Spezialwissen für den Umgang mit den Tools, die so große Datenmengen sinnvoll bearbeiten können. Vor diesem Hintergrund kann und darf die Marketingabteilung durchaus anspruchsvoller und selbstbewusster auftreten.

Die Sprache wird also entscheidenden Faktor im Marketing der Zukunft?

Kim: Über die Sprache hinaus können und werden dann vielleicht auch noch weitere Verhaltensmerkmale der Kunden oder sogar des gesamten Buying Centers beobachtet und ausgewertet. Ebenso werden auch im Geschäftsumfeld im Vergleich zu heute viel mehr Produkte und Sachen (Things) ständig Informationen und Daten senden und empfangen. Durch entsprechende Analysen werden sich in der Folge bestimmte Geschäftsprozesse erheblich verändern. Ein guter B2B-Vertrieb weiß auch ohne Digitalisierung schon vor dem Kunden, was der Kunde morgen oder nächstes Jahr kaufen möchte und mit Hilfe der Digitalisierung wird das auch für den „mittelmäßigen“ Vertrieb schneller erkennbar sein. Also das, was wir bei Amazon & Co zum Teil schon kennen, wird zukünftig in größerer Dimension und Komplexität vermutlich auch im B2B machbar sein. Vieles davon ist heute theoretisch schon möglich und deshalb nur eine Frage der Zeit, bis es auch in der B2B-Praxis angewendet werden.

Wohin wird die Reise im Bereich B2B-Marketing und -Kommunikation gehen, wenn alles digitalisiert und automatisiert wird?

Kim: Als interessante Gegenbewegung oder auch als Erweiterung wird es in speziellen Bereichen zu einem anderen Bewusstsein für die analoge Welt kommen. Der bewusste und smarte Einsatz von analogen Prozessen und Elementen sowie die besondere Wertschätzung für das Ursprüngliche könnte bei all der Digitalisierung zu einem interessanten und auch sehr relevanten Wettbewerbsfaktor werden. Angefangen von den eingesetzten Produkten und Hilfsmitteln, über Messen und Events bis hin zur „gefühlt“ noch individuelleren Betreuung der Kunden. Diese Faktoren waren im B2B schon immer wichtig und werden im Zuge der Digitalisierung hier und dort auch eine gewisse Renaissance erleben.

Welche Rolle spielt dabei die Nachhaltigkeit?

Die aktuellen Entwicklungen und Bewegungen im Bereich der Nachhaltigkeit erweitern sogar die Perspektive mit Blick auf die ökologische und soziale Verantwortung. Ich bin fest davon überzeugt, dass es entlang der gesamten Wertschöpfungskette zukünftig immer relevanter wird, ob man nachweislich (z. B. über Zertifizierungen) ökologisch und gesellschaftlich nachhaltige sowie service-excellence-orientierte Produkte und Dienstleistungen anbieten kann. Oder anders formuliert: Unternehmen werden nicht mehr als relevante Anbieter oder Zulieferer angesehen werden, wenn man in diesen Bereichen bestimmte Mindestanforderungen nicht erfüllen kann. Aber egal wie viel Digitalisierung man in das Marketing und die Kommunikation integriert und egal, ob gewollt oder nur aufgrund des Marktdrucks. Am Ende des Tages war und wird die Qualität der Geschäftsbeziehungen immer zentral entscheidend sein. Vertrauen und Committment in den Beziehungen sind und bleiben zeitlose Erfolgsfaktoren und das ist eine zentrale Aufgabe des Marketings!

 

Lesetipp:

Im ersten Teil des Interviews mit dem Titel „B2B-Unternehmen müssen Expertenwissen im Bereich Data Analytics aufbauen!“ erklärt Prof. Dr. Seon-Su Kim, wwelche Defizite deutsche Industrieunternehmen in den Bereichen Big Data & Data Analytics haben. Er erklärt, was sie tun müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und welche Rolle digitale Plattform-Geschäftsmodelle in Zukunft spielen.