WIN-WIN MIT DIGITAL TWIN – Revolution im After-Sales-Vertrieb und Kundenmanagement

[no_toc] Digital Twins sind in aller Munde. Mit vielen Einsatzszenarien sind sie ein wichtiges Element der aktuellen Phase der digitalen Revolution – auch im Upselling von After-Sales-Produkten und -Lösungen und im Kundenmanagement.

Wir haben dazu ein Interview mit Alexander Pircher, Geschäftsführer von infolox GmbH, geführt.

Alexander Pircher, infolox GmbH 
Geschäftsführer der infolox GmbH

Alexander Pircher ist Geschäftsführer der infolox GmbH, einer der führenden Full-Service-Agenturen und Systemintegratoren für Omnichannel-Marketing, E-Commerce und Produktkommunikation im Branchenschwerpunkt B2B Industrie und Technischer Handel. Er verfügt über eine breite Expertise aus einer Vielzahl seit 2003 realisierter Projekte im Umfeld der Omnichannel-Produktkommunikation und -Infrastruktur mit PIM, MAM, CMS, SHOP, TMS, … beginnend mit der Strategieberatung, über die Konzeption und Implementierung sowie den Betrieb von Omnichannel- und E-Commerce-Lösungen für namhafte Kunden.

Bildquelle: infolox GmbH

 

bvik: Lieber Herr Pircher, was bedeutet Digital Twin oder Digital Clone denn eigentlich? 

Alexander Pircher: Es handelt sich dabei um eine virtuelle Abbildung eines Gegenstands aus der realen Welt. Also nicht um ein Modell für einen Typ, sondern für ein ganz konkretes Objekt. Eingesetzt werden Digital Twins meist für komplexe Objekte, die es so nur einmal gibt. Beispielsweise werden im Baubereich mittels BIM (Building Information Modelling) komplette Gebäude digital modelliert, bis herunter zur einzelnen Steckdose. Das ist dann der Digital Twin. Das Gegenstück in der realen Welt kann dabei bereits existieren oder erst noch gebaut werden. Da ein Digital Twin einfach und überall verfügbar ist, dazu digital abfragbar, können aus ihm Informationen über ein Objekt und seinen Aufbau viel leichter und schneller gewonnen werden als aus dem realen Objekt selbst.

Digital Twins haben viele Einsatzszenarien, von der Planung über die Erstellung bis zur Wartung, dem Ausbau und der Erweiterung und sogar dem Abriss oder Abbau eines Objekts.

Welche Bedeutung hat das Thema für das Upselling von After-Sales-Leistungen und -Lösungen oder auch für die Verbesserung der Kundenbeziehung?

Alexander Pircher: Digital Twins sind nicht zuletzt eine Möglichkeit zur Bedarfsermittlung. Wer weiß, was der Kunde bereits hat, welche Wartungszyklen daran hängen, kann ganz gezielt weitere Produkte und Leistungen anbieten, die genau passen. Es gibt keine Streuverluste mehr. So kann man unglaublich effizient verkaufen. Und der Kunde wird nicht mit irrelevanten Angeboten überschwemmt, sondern optimal unterstützt, was die Beziehung zu ihm erheblich verbessert.

Welche Bedeutung hat das Thema für Ihre Kunden aus Industrie und technischem Handel?

Alexander Pircher: Für unsere Kunden wird das Thema Digital Twin die Kundenbeziehungen und die Möglichkeiten für das Upselling von Produkten und Lösungen komplett verändern. Sowohl für Komponentenhersteller als auch für Anlagen- und Maschinenbauer. Das Wissen über die Anwendung beim Kunden im realen Objekt ist vergleichbar mit dem Wissen über die User aus Sicht der großen Onlinehändler. Also ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil in der jetzigen Phase, wo das Thema aufkommt. Bald wird es nicht mehr ohne Digital Twins gehen. Es ist mithin überlebenswichtig.

Wo stehen Ihre Kunden dabei?

Alexander Pircher: Heute noch wissen die meisten Hersteller, Händler und Anlagenbauer nicht, was genau mit ihren Produkten, Maschinen und Anlagen passiert, nachdem sie verkauft und installiert sind. Wie sie beim Kunden eingesetzt, betrieben und gewartet werden, wann zuletzt ein Service gemacht wurde, welche Verbrauchsmaterialien und Ersatzteile regelmäßig benötigt werden, welche Komponenten zur Ergänzung sinnvoll wären, welche neuen Produkte oder Leistungen helfen würden, die Maschine oder Anlage zu optimieren, Betriebskosten zu sparen und so weiter.

Welches Potential hat dieses Wissen für die Anbieter?

Alexander Pircher: Ein einfaches Beispiel: Ein Anlagenbauer hat von allen Anlagen, die er je gebaut hat, jeweils einen digitalen Zwilling. Dort sind nicht nur alle Informationen zur Anlage hinterlegt, sondern zu allen verbauten Komponenten, ebenso die Historie der Anlage samt Stammdaten, dazu technische Daten, Dokus und Bewegungsdaten wie Laufzeiten, Kilometer, Schaltvorgänge pro Zeiteinheit. Dieser Klon birgt für Anbieter und Kunden enorme Potentiale zur Automatisierung der Kundenbeziehungen. Nicht nur können automatisch Ersatzteile und Services nachgeliefert, sondern auch proaktiv Ausfall-, Liefer- und Standzeiten optimiert werden.

Was ist die Basis für einen solchen digitalen Zwilling und wo muss man beginnen?

Alexander Pircher: Wie schon bei Katalogen, Shops oder Konfiguratoren ist die Basis für einen sauberen digitalen Zwilling das Thema Produktdaten – allerdings nicht nur als Auflistung einzelner Komponenten, sondern als komplettes System mit den genauen anlagenspezifischen Ausprägungen, ergänzt um Daten über den Lebenszyklus des Originals.

Und wo befindet sich der Digital Twin konkret, also technisch beziehungsweise systemseitig gesehen?

Alexander Pircher: Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Systeme beim Anbieter und beim Kunden, die Daten und Content dafür liefern. Aber aus unserer Sicht ist der Golden Record aller Produkte und deren kundenspezifischer Ausprägung in Form von Anwendungen, Projekten, Objekten, Gebäuden, Maschinen im PIM/MAM-System des Herstellers beziehungsweise Anlagenbauers zu verorten. 

Wie kann man sich den Einsatz eines PIM-Systems hier genauer vorstellen?

Alexander Pircher: Viele sehen PIM-Systeme nur als Mittel für die Abbildung des Produktportfolios eines Herstellers oder eines Händlers. PIM-Systeme können aber viel mehr. So können sie auch Beziehungen zwischen Produkten abbilden. Schon lange können sie neben der Hersteller- oder Händlersicht auch die Anwendersicht darstellen, um zum Beispiel lösungsbezogene Kataloge herzustellen. Zudem beherrschen sie Schnittstellen zu externen Systemen. Die neueste Generation der PIM-Systeme verfügt über datenbankbasierte Abfragemöglichkeiten.

Und was ist ein Digital Twin anderes als eine Lösung, die aus einzelnen Produkten als Komponenten besteht? 

Alexander Pircher: Dies lässt sich perfekt im PIM abbilden, ebenso wie Informationen zu Wartungszyklen und deren Start beim konkreten Objekt. Über die Datenbank können dann automatisierte Analysen gefahren werden. Zum Beispiel können wir einem wichtigen Bauteil oder Teilsystem das Merkmal „Wartungszyklus: sechs Monate“ geben, dazu Beziehungen zu den betreffenden Verbrauchsmaterialien anlegen sowie dem Twin das konkrete Einsatz-Startdatum beifügen. Das PIM-System kann dann eine Woche vor jedem Wartungszeitpunkt den Versand der Verbrauchsmaterialien automatisiert auslösen.

Ist hierbei auch eine engere Anbindung des Kunden möglich?

Alexander Pircher: Je nach Kundensituation gibt es hier viele Möglichkeiten. Der Kunde stellt zum Beispiel Bewegungsdaten des Objekts zur Verfügung oder informiert den Hersteller oder Anlagenbauer über Änderungen am Objekt, damit dies im Twin aktualisiert werden kann. Dies kann manuell oder automatisch über Schnittstellen erfolgen. Im Gegenzug erhält der Kunde Zugriff auf seine digitalen Zwillinge und kann effizient beispielsweise über ein Aftersales-Portal oder einen Webshop alle Informationen, Dokus, Ersatzteile und Weiteres zu seinen Maschinen und Anlagen finden und downloaden oder bestellen. Zusätzlich können viele Prozesse und Services automatisiert getriggert werden.

Wo liegen die Herausforderungen?

Alexander Pircher: An erster Stelle steht die Frage, wem welche Daten gehören und welche Informationen jeder Teilnehmer der Wertschöpfungskette welchem anderen zur Verfügung stellen möchte. Hersteller, Händler, Systemintegratoren und Kunden müssen lernen, dass das Spiel „Meine Daten versus deine Daten“ nicht zum Ziel führt, sondern einer Win-win-Situation für alle Beteiligten im Weg steht. Zudem muss die Pflege eines Digital Twins konsequent erfolgen. Wird diese vernachlässigt, verliert der Twin seinen Wert sehr schnell, und das Updaten wird aufwendig. Daher ist Automatisierung hier sehr wichtig, was eine hohe Prozess- und Schnittstellenkompetenz des Implementierers erfordert.

Und wie können Unternehmen sich diesem Thema nähern?

Alexander Pircher: Wie so oft heißt es auch hier: „Think big but start small.“ Picken Sie sich einige A-Kunden heraus und bauen Sie für deren wichtigste Objekte Piloten auf. Darauf aufsetzend können Sie dann schnell weitere Kunden überzeugen. Wir unterstützen Sie dabei mit Consulting, Erfahrungen und den richtigen Lösungen.

 


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