Bundesverband Industrie Kommunikation e.V.

Ist das Metaverse „fit” für die Industrie?

Avatare im Metaverse für die Industrie

Das Trendthema Metaverse ist in aller Munde. Neben den Visionen der „Techkonzerne“ existiert aktuell keine konkrete Vorstellung oder Definition, wie ein Metaverse für die Industrie bzw. im B2B aussehen könnte. Der genauere Blick zeigt aber: Viele Elemente der Technologie enthalten große Chancen auch für die Industriekommunikation. Die Frage scheint aktuell nicht mehr zu sein, ob, sondern wann das Metaverse auch im B2B großflächig Verwendung findet.

 

Man kann deutschen Industrieunternehmen sicher nicht vorwerfen, dass sie blind jedem Hype hinterherlaufen. Technologisch vergehen vom ersten ‘Proof-of-Concept’ bis zur Überführung in den Produktionsprozess gerne Jahre bis Jahrzehnte. Auch im Marketing sind Industrieunternehmen oft schwerfälliger und adaptieren neue Trends nur langsam. Es ist darum kein Wunder, dass die aktuell durchs digitale Dorf getriebene Sau – das Metaverse – in der Industrie bisher eher wenig diskutiert wird. Obwohl 2021 57 Mrd. USD in das Metaverse investiert wurde und in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 weitere schwindelerregende 120 Mrd. USD1, sind für die Industrie die Vorstellungen, Nutzungsszenarien und Ziele der Digital-Konzerne zu wolkig geraten und nicht greifbar genug.

 

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die erste Nennung des Begriffes „Industrielles Metaverse” nicht von einem Industrie-, sondern von einem IT-Unternehmen kommt: Microsoft Deutschland-Chefin Marianne Janik prophezeite auf der Hannover Messe, dass das Metaverse künftig auch in der Industrie eine maßgebliche Rolle spielen werde, indem sie die „digitale Modellierung von Produktionsprozessen“ und die Nutzung „digitaler Zwillinge” ermöglicht. Das klingt zunächst einmal vielversprechend, wird aber jeden Maschinenbauer kaltlassen: Beides ist heute schon Bestandteil moderner Middleware-Systeme und es ist nicht wirklich klar, welchen Mehrwert eine immersive virtuelle Umgebung hier stiften soll.

 

Trotzdem wird man sich in der Industrie einig sein, dass die Dynamik am Markt zugenommen hat. Technologie-Entwicklungszyklen verkürzen sich, der Wettbewerb wird härter und auch im Marketing steigt die Dynamik über mehrschichtige Marketing- & Vertriebsmodelle mit Data Analytics, CRM Automatisierung und miteinander verwobenem offline/online Marketing bzw. Vertrieb. Weiterhin bestätigte das bvik Trendbarometer 2022 mit 86 % Zustimmung, dass B2B Kunden eine „Customer Experience” wie im B2C erwarten. Welche Rolle kann und soll also das Metaverse im B2B und der Industrie spielen?

Vision trifft industrielle Anforderungen

 

Der Begriff Metaverse wurde von dem Autor Neal Stephenson in seinem Roman „Snow Crash” von 1992 erfunden, und bis heute gibt es keine Experten-übergreifende Definition. Nichtsdestotrotz, das Metaverse sollte Teilnehmern mindestens ein immersives Erlebnis, Echtzeit Interaktion (inkl. anderer Teilnehmer) und eine selbstbestimmte Nutzererfahrung ermöglichen. Kurz: Ein digitaler Raum, in dem Menschen durch einen virtuellen Avatar vertreten sind, welche sich treffen und miteinander interagieren können. Dieses Konzept wurde seit Jahren erfolgreich bereits in der Online-Spiele-Community umgesetzt. Die Generation Z ist damit groß geworden. Die Multi-Spieler-Plattform Roblox hat heute 50+ Millionen Nutzer täglich und generierte 2021, hauptsächlich über „In-Plattform Käufe”, 1,9 Mrd. USD Umsatz2. Das Metaverse ist gewissermaßen dadurch schon heute fester Bestandteil des digitalen Lebens ganzer Generationen und verflechtet sich nun mit der Real-Welt. 

 

Doch wie lässt sich diese Vision ins B2B und für die Industrie übersetzen? Es wird vor allem darauf ankommen, den Fokus auf die Bereiche zu legen, in denen Interaktion und Austausch eine maßgebliche Rolle spielen. Das Metaverse kann wertvolle Zeit sparen, die vorher in Reisetätigkeit investiert wurde. Ein industrielles Metaverse wird gegenüber „klassischen” Kommunikationsmitteln aber nur genutzt werden, wenn die Begegnung im virtuellen Raum mit Avataren auch einen Erfahrungs- und Effizienz- bzw. Kosten-Mehrwert liefert. Kurz gesagt, es muss „besser” sein als die uns bekannten Teams oder Zoom Meetings.

Metaverse: von der Vision zum industriellen Anwendungsfall

 

Es gibt eine Vielzahl von parallel verwertbaren Nutzungsszenarien für ein Metaverse im industriellen B2B-Kontext, bei welchen dieser Mehrwert gegeben ist. Folgende sind die vielversprechendsten:

Digitaler Showroom

Interessierte können zu jeder Zeit allein oder zusammen mit dem Vertrieb eine digitale Welt besuchen und Produkte immersiver und weitaus interaktiver als übliche virtuelle Messestände erleben. Möchte man bestimmte Industrievertikale ansprechen, kann man über angepasste Erfahrungsbereiche Gesamtlösungen, ‘Unique-Selling-Points’ und ‘Value Propositions’ fokussiert erklären und kommunizieren. Bindet man eine Zugriffsbeschränkung und Nutzerdatensammlung mit ein, können Interessenschwerpunkte von Besuchern aufzeigen und somit „warm leads” generiert werden.

Produktpräsentationen

Produktvorstellungen für einzelne Kunden oder eine breite Gruppe können zu jeder Zeit durchgeführt werden. Das Produkt kann von jedem Teilnehmer frei und interaktiv, nahezu wie in der Real-Welt erlebt werden. Teilnehmer können interagieren oder in break-out-sessions private Gespräche führen.

Technische Projektmeetings

Hochkomplexe Maschinen und Anlagen müssen nicht in Form abstrakter Datenblätter ausgetauscht werden. Sie sind innerhalb von Sekunden verfügbar, können aus jedem beliebigen Winkel betrachtet werden und vermitteln dadurch schneller eine Vorstellung von Größe, Funktionsweise oder Einbindung in die Fertigungsstraße. Theoretisch könnte ein gesamter Shopfloor live gemeinsam mit einem Lieferanten im Metaverse gestaltet und im Anschluss in die „echte” Welt übertragen werden.

Produktschulung

Wer im Metaverse mit einer Maschine interagiert, hat nahezu eine lebensechte Erfahrung und kann diese Interaktion viel intuitiver in die reale Welt übertragen, als wenn er sich zum Beispiel ein Schulungsvideo ansieht.

Produktwartung

Im Falle einer defekten Maschine kann ein Servicetechniker den Kundendienst im Metaverse kontaktieren. Beide haben nun virtuell Zugriff auf den digitalen Zwilling der Maschine, gespeist aus Echtzeit-Produktionsdaten und verfügbar als interaktives 3D-Modell. Der Kundendienst kann die notwendigen Wartungsschritte Schritt für Schritt mit dem Anwender durchgehen und diese in der virtuellen Umgebung anschaulich und interaktiv vorführen.

Employer Branding

Jüngere Generationen gehen natürlicher mit virtuellen Welten wie dem Metaverse um. Junge Talente in einer alternden Gesellschaft für spezifische Industrien zu gewinnen, benötigt eine modernisierte und auf deren Gewohnheiten adaptierte Ansprache. Das Metaverse ermöglicht einen interaktiven Prozess, um mit „nicht Experten” zu interagieren, diese an eine spezielle Industrie schnell heranzuführen und deren Interesse dafür zu wecken.

Die Zukunft des Metaverse für die Industrie

Bereits heute gibt es Metaverselösungen am Markt welche B2B und Industrieanforderungen genügen können. Sie sind ausreichend stabil und ermöglichen nicht nur das Schaffen von Erlebniswelten, sondern auch die Integration von lebensechten 3D-Produktmodellen mit deren Funktionalitäten.

 

Dies bildet die Basis, um die erwähnten Anwendungsfälle umzusetzen und deren Vorteile zu genießen. Es ist an der Zeit für Industrieunternehmen auszuloten, ob und welchen Mehrwert ihnen das Metaverse bringen kann, Anwendungsfälle auszutesten, um deren Potenzial zu bestätigen und sich somit Wettbewerbsvorteile für die nächsten Jahre zu sichern. „Early Adopters” haben bereits verstanden, welchen spezifischen Nutzen die Verwendung des Metaverse ihnen bringen kann und verfolgen aktiv dessen Umsetzung. Genau deshalb ist nicht mehr die Frage, ob, sondern wann das Metaverse auch im B2B großflächig Verwendung finden wird.

 

Quellen
1) McKinsey&Company (2022): Value creation in the metaverse
2) Roblox Corporation (2022): Roblox reports fourth quarter and full year 2021 financial results


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