Ihr digitales Marketing ist tot. Mausetot.

Mit Verlaub: Was wir bisher digitales Marketing nennen, ist Kinderkram. Für eine digitale Zukunft muss das Marketing seinen Platz erst noch finden – und das wird noch etwas Arbeit kosten.

Ömer Atiker, Click Effect
Geschäftsführer

Ömer Atiker ist Experte für digitale Transformation und „seit der Steinzeit online“. Seit drei Jahrzehnten unterstützt er in hunderten von Projekten Firmen in Sachen Digitalisierung und Strategie. Unter dem Motto „Hallo, Zukunft!“ bringt er seine Erfahrungen als Keynote-Speaker auf die Bühne und als Berater in die Unternehmen. Er begeistert mit seiner unnachahmlichen Art – fröhlich, charmant und immer mit dem Schalk im Nacken. Ömer Atiker (atiker.com) nimmt sich und seine Zunft der Digitalen dabei nicht allzu ernst und die vielen Buzzwords gerne auf die Schippe.
Bildquelle: Simone Scardovelli


Harte Worte! Ist das Marketing nicht schon ganz vorne bei der digitalen Transformation? Immerhin ist das klassische Marketing in den letzten zwei Jahrzehnten wirklich digital geworden. Es hat sogar das Fernsehen als größtes Medium vom Thron gestoßen. Bemerkenswert, oder? In meiner Kindheit war das Fernsehen die eine feste Konstante, mit Krimis, den Nachrichten und den großen Shows. Heutzutage streamen wir ganz selbstverständlich Filme oder Serien, jeder schaut, was er will, wann er will.

Inzwischen haben wir die gute alte E-Mail, das fast so alte Search (SEO und SEA), die etwas jüngeren Aspekte des Social Media und die Gemengelage des Content Marketings. Dazu kommen ein paar hässliche Stiefkinder wie Affiliate Marketing, Influencer Marketing und „Native Advertising“. Alles messbar, alles persönlich und individualisiert. Fortschritt!

Viel Schaum, doch wenig Bier

Die traurige Wirklichkeit ist, dass wir hinter den Möglichkeiten weit zurückbleiben. Websites und ihr CMS sind noch immer eine einzige Qual, wir brauchen Jahre für einen Relaunch und viel zu viel Zeit für die Pflege, von Änderungen ganz zu schweigen. E-Mails bereiten immer noch Probleme mit der Darstellung auf den verschiedenen Geräten, so bleibt es meist bei einem Stück Text mit ein paar Bildern. Personalisierung beschränkt sich auf die Anrede. Social bleibt stecken in Banalitäten, im Kampf um ein paar Likes. Von Shares und engagierten Diskussionen sind die meisten B2B-Accounts meilenweit entfernt.

In den Marketing-Abteilungen sitzen Kollegen, die von der technischen Kompliziertheit der Systeme überfordert und deswegen abhängig von Agenturen sind. Die größte Sorge dort ist: Über was soll ich schreiben? Wie schaffe ich genügend Inhalte für all meine Posts? Wie kann ich ein vages Interesse so stimulieren, dass ich daraus doch noch einen Verkauf mache? In die Statistiken wird nur gelegentlich geschaut und wenn, dann vor allem, um das Budget zu rechtfertigen – Hauptsache ein paar Kennzahlen gehen etwas nach oben, dann war es nicht umsonst. Die viel beschworene Customer Journey, um die wir uns kümmern? In Wirklichkeit ein Haufen Spaghetti in Analytics, weil jeder Kunde andere Seiten besucht.

Strategie? Meist Wunschdenken. Personas? Wenn sie je erstellt wurden, verstauben sie im Schrank. Individualisierung? Fehlanzeige. Jeder Shop sieht völlig gleich aus. Und wenn Sie je nach einer Heizdecke für die Großmutter gesucht haben, dann werden Sie für Monate von Werbung für Heizdecken verfolgt, selbst, wenn Sie sie längst gekauft haben. Ist das die schöne neue digitale Welt?

Kennen Sie dieses nette Video, wo sich die Eltern sehr für das tolle iPad bedanken? Das sie als elegantes Schneidebrett nutzen und in die Spülmaschine stecken? So ähnlich gehen wir mit digitalem Marketing um. Wir produzieren im Grunde noch immer Prospekte und Anzeigen, wie vor hundert Jahren, versuchen, auf uns aufmerksam zu machen und hoffen auf ein paar Kunden.

Und woran liegt das? Erstens: Die Technik

Die Ursachen sind vielfältig, aber ich sehe zwei ernste Gründe, die uns bremsen.

Zum einen sind unsere Werkzeuge oft grauenhaft. Meine ersten Websites habe ich 1995 noch von Hand gebaut. Über 20 Jahre später sollte eine Website doch von jedermann zu bauen und zu warten sein, oder? Weit gefehlt. Selbst das tolle WordPress ist schlecht zu bedienen, schleppt Berge unnütze Codes mit sich rum und ist nur von spezialisierten Technikern anzupassen. Größere CMS sind hässlich, kompliziert und unflexibel. „Responsive“ begnügt sich mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, SEO ist ein lästiges Extra und Individualisierung ein frommer Wunsch. Die Verkäuferin beim Bäcker weiß nach ein paar Besuchen, welche Brötchen ich mag und wechselt ein paar Worte mit mir. Unsere hochtechnischen Websites für Hundertausende von Euro schaffen nicht, was diese junge Frau für den Mindestlohn hinkriegt.

Deswegen wird in der Praxis auch etwas ausprobiert oder getestet, man ist froh, wenn man überhaupt etwas Aktuelles und Sinnvolles online hat. Google Ads (früher: Adwords) zu bedienen, ist eine Kunst für sich, für die man eine eigene Ausbildung braucht. Für E-Mail begnügt man sich mit rigiden Templates, in die man seine Texte füllt und testet höchstens mal die Headline oder ein anderes Bild. Unsere Statistiken sind bunt, umfangreich, detailliert – und sehr verwirrend. Der Nutzen ist wie eine Wetter-App, man schaut rein und zuckt die Schultern. Hand aufs Herz: Wer von Ihnen schaut regelmäßig in seine Zahlen? Und wer von Ihnen tut auch etwas damit? Nimmt Änderungen vor, macht strukturierte Tests und lernt durch ausprobieren?

Kurzum: Die Technik ist dumm, kompliziert und frisst viel zu viel Zeit.

Zweitens: Der Fokus

Der zweite Grund ist ein falscher Fokus. Nämlich der auf den eigenen Bauchnabel, auf das eigene Unternehmen. Das ist übrigens ein Hindernis, das ich generell bei Transformationsprojekten sehe, da macht sich nicht nur das Marketing schuldig. Aber gerade das Marketing sollte doch zuallererst den Kunden im Auge haben!

Im Alltag wird meist nur bis zur Schreibtischkante gedacht. Ich brauche Inhalte. Worüber kann ich schreiben? Wo kriege ich die Bilder für die Messe her? Ich, ich, ich! Wer fragt sich ernsthaft (!), was den Kunden interessiert, was für ihn relevant ist? Wer versteht, was den Kunden begeistert und seinen Enthusiasmus weckt, wer nutzt dieses Wissen, um richtig geilen Content zu bieten?

Viel zu oft ist es Pflichterfüllung. Ich habe getan, was erwartet wurde. Habe produziert und gepostet, und wenn das Ganze dann noch gut aussieht und leicht zu lesen ist: Glückwunsch, gut gemacht! NEIN! Das ist Pflicht, das ist ganz normal. Brötchen müssen auch frisch und schmackhaft sein. Die Kür ist es, mehr zu bieten. Denken Sie an RIA und machen Sie Ihre Inhalte Relevant, Interessant und Amüsant.

Gutes Marketing beginnt, wenn wir im Kopf des Kunden spazierengehen und dort etwas verändern können.

Die Zukunft des Marketings – das Marketing der Zukunft

Kehren wir zurück zur digitalen Transformation. Die Frage dort lautet immer: Wie können wir Digitales nutzen, um mehr Wert für unsere Kunden zu schaffen? Ob das ein besserer Prozess ist, niedrigere Preise, ein intelligenteres Produkt, eine neue Kombination von Produkt und Service oder ganz neue Angebote: Was ist für den Kunden wertvoll?

Eine Aufgabe des Marketings ist es, den Kunden und seine Weltsicht zu verstehen. Und gleichzeitig zu bestimmen, wo das eigene Unternehmen in diesem Bild steht – und wo Sie in Zukunft stehen wollen. Sie wissen schon, Standortbestimmung, Ziel und die Strategie, den Weg dorthin.

Das Denkmodel der drei Blickwinkel zeigt uns drei große Perspektiven: Das Selbstbild, den Eindruck der Kunden und die Einschätzung von Dritten. Dieses Modell hilft, die eigene Position weit besser zu verstehen.

Der nächste Schritt ist es, das eigene Geschäftsmodell zu verstehen. Dabei hilft die Digital Strategy Map. Ausgehend vom Kunden sehen wir, welche Rolle das eigene Unternehmen für den Kunden spielt (Bedeutung) und was wir dafür brauchen – nicht nur die Produkte und Services, sondern auch die richtige Customer Experience.

 

Für das Marketing liegt die Zukunft im Verstehen und Gestalten der Bedeutung, der Rolle des Unternehmens im Kopf des Kunden. Und wir müssen zeigen, wie der Kunde den Umgang mit dem Unternehmen erlebt. Customer Experience ist nicht nur schickes Screendesign, sondern deckt alle Touchpoints ab, vom Abnehmen des Telefons bis zur Formulierung Ihrer Mahnschreiben.

Deswegen betrifft die digitale Transformation auch alle Bereiche des Unternehmens. Das Marketing der Zukunft hilft dem Unternehmen, seine Kunden und den Markt wirklich zu verstehen. Es baut Brücken und echte Beziehungen zu Kunden auf, fördert den offenen Austausch. Es trägt Wissen und Kontakte in die Organisation, zu den Abteilungen, die daraus lernen müssen. Und wenn es mutig ist, dann geht es in diesem Prozess mit breiter Brust voran, statt nur Bildchen zu produzieren, ohne wirklich ernst genommen zu werden.

Denn nur dann können wir Lösungen und Angebote entwickeln, die begeistern. Und nur dann haben unsere Unternehmen eine Zukunft.