Ein Plädoyer für „Direct-to-Customer”-Strategien

Die meisten Hersteller (egal aus welcher Branche und ob B2B oder B2C) beschäftigen sich mit der Frage, wie sie direkt(er) mit ihren Kunden in Kontakt kommen. Mit „Direct-to-Customer“-Strategien gibt es viel zu gewinnen. Doch leider stehen zumeist zwei große Barrieren im Weg – eine im Kopf und eine bei der Technologie-Prozess-Landschaft.

Ralph HuebnerRalph Christian Hübner, ecom consulting | strategy & process
Partner

Ralph Hübner war Mitgründer der Suberg Strategy GmbH, ist Partner bei der ecom consulting GmbH und fungiert zudem bei der auf Tech spezialisierten M&A-Boutique Hampleton Partners als Sector Principal. Er ist darüber hinaus selbst an Start-ups beteiligt und aktiv tätig. Nach langjähriger Tätigkeit im Familienunternehmen der Modeindustrie war Ralph Hübner als Strategieberater bei einem führenden Beratungsunternehmen beschäftigt. Hübner verfügt über mehr als 20 Jahre Führungs- und Beratungserfahrung in Strategie, Vertrieb und Marketing. Er berät überwiegend Hersteller und Markenunternehmen bei strategischen Fragen im Kontext von Digitalisierung und E-Commerce.
Bildquelle: ecom consulting GmbH

In seiner Masterclass „Das Zeitalter der Hersteller: Warum „Direct-to-Customer“ (D2C) der Leitspruch dieser Dekade ist! „ im Rahmen des TIK DIGITAL 2020 zeigt Hübner, welche Handlungsoptionen Hersteller heute haben, welche Potenziale, Aufwände und Risiken hinter den Optionen stehen – illustriert an aktuellen Beispielen aus unterschiedlichen Branchen.

 

Gestatten Sie ein paar einordnende Vorworte.

Es gibt dieser Tage ein alles beherrschendes Thema. Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgefragen verdrängen alle sonstigen strategischen wie operative Themen. Oder, als zweite Variante: Alle bisherigen Trendthemen werden einfach in den Corona-Kontext gestellt. Die Mehrheit aller Artikeln der Tages- und Wirtschaftspresse oder auch Posts auf LinkedIn und XING haben nun den Anspruch, alles in Corona-Gewinner oder -Verlierer aufzuteilen. Viele instrumentalisieren die Krise dabei ungeniert für eigene Vertriebszwecke oder um zu postulieren, dass „post Corona“ allles viel digitaler oder nachhaltiger oder achtsamer sein wird. Jeder presst seine Wunschableitungen in den jeweiligen Zielkontext. Der Reflex ist nachvollziehbar. Diese große Krise muss doch auch für etwas gut sein?! Und dann malt man sich aus, welche positiven Effekte sich für das eigene Vorhaben ableiten lassen. Wir alle sind bekanntlich „biased“. Und dies in jedem Fall viel mehr als wir solidarisch oder gar altruistisch sind.

Ich will mich hier nicht ausnehmen. Auch ich habe zu Beginn des Artikelverfassens mit verschiedenen Argumentationsketten experimentiert, um zu skizzieren, dass „Direct-to-Customer“ nach der Corona-Krise unbedingt ins Zentrum vieler Inhaber und Manager rücken wird. Aber das wäre falsch. Entweder ein Konzept war vorher bereits schlüssig und wird das auch nach Corona sein, oder es ist eben irrelevant (geworden). Dennoch ist es wohl unweigerlich so, dass man als Leser derzeit kaum etwas lesen kann, ohne es (un)bewusst infrage zu stellen. Man wägt intuitiv ab, ob das Geschriebene dem jeweils persönlichen Corona-Stresstest stand hält, ob es sich auch in der post-Corona Prioliste halten kann – oder ob es akut helfen kann, die Corona-Folgen abzumildern. Ansonsten wird den allermeisten Informationen derzeit kein Zugang zum Arbeitsspeicher im eigenen Hirn gewährt. Die Amygdala regiert rigide.

Strategie-Ausrichtung unabhängig von Corona

Deshalb: Dieser Artikel handelt nicht von Krisenprogrammen oder gar einer Art „Soforthilfe, wie man jetzt schnell online weggebrochene Vertriebswege oder Logistikstrukturen kompensieren kann“. Es geht hier um die Corona-unabhängige Anpassung der Strategie-Ausrichtung von Herstellerunternehmen. Es geht um die Notwendigkeit, sich der neuen digitalen Kanäle und Instrumente bedienen, um einen direkten Kontakt mit ihren Kunden zu etablieren. Vor allem geht es aber um die unternehmensinternen Voraussetzungen, damit ein solcher Direktansatz erfolgreich sein kann. Was „Erfolg“ hier bedeutet und für welche Beteiligte, wird weiter unten noch eine wichtige Frage sein.

Zu Beginn wollen wir etwaigen Fehlinterpratationen vorbeugen. Dies ist kein Plädoyer für den Direktvertrieb oder gar für einen Webshop. Wahrlich nicht. Der Direktvertrieb ist nur eine von vielen Spielvarianten und der Webshop ist oftmals eher ein Spielverderber, weil er gerne für mehr Probleme als Lösungen sorgt (in jedem Fall, wenn er ohne strategische und systemische Konzeption aufgesetzt wurde). Vielmehr geht es um die konsequente Strategieausrichtung auf den Kunden und seine Bedürfnisse. Die Kundenzentrierung wird zumeist als entsprechender Gattungsbegriff angeführt. Die Eindeutschung der Customer Centricity ist hierzulande jedoch nicht so geglückt wie man es sich wünschen würde. Zum einen beförderte die inflationäre und vielfach sinnfreie Verwendung ihn in den Buzzword-Topf von Beratern und Agenturen. Zum anderen wird Kundenzentrierung zu oft nur als begleitender Soft Factor behandelt und folglich nicht selten in den Change-Esoterik-Bereich gedrängt. Vollkommen zu Unrecht.

Fehlender Kundenfokus bei Unternehmen

Die Kundenfokussierung muss der harte und unverrückbare Strategie-Kern eines Herstellers sein. Es geht weit über „bessere Usability und User Experience“ hinaus. Es geht auch nicht nur um das Marketing, welches weniger Brand- und selbstverliebt sein soll. Es geht um das Zusammenspiel aller Unternehmensfunktionen, die mittelbar und unmittelbar mit dem Kunden zu tun haben.

Definiere Kunde! Der Kunde ist der Anwender, Nutzer oder Konsument des Produkts oder des Services eines Herstellers. Der Handel ist dementsprechend nicht der Kunde, wenngleich er eine wichtige Vermittlungs- oder auch Erklärfunktion hat. Aber er ist nicht der Kunde. Diese Unterscheidung ist immens wichtig und wird deutlicher, wenn man die Perspektive des Kunden einnimmt. Der Kunde unterscheidet in seiner Wahrnehmung nicht zwischen verschiedenen Handelsstufen oder Marketing und Einkauf. Er interagiert (gefühlt stets) mit der Marke des Produkts, dem Hersteller. Und diese Erfahung muss stimmig sein, oder effizient, oder zumindest fehlerfrei. Basta.

Und das funktioniert (leider) bei sehr vielen Herstellern (noch) nicht ausreichend. Das liegt zumeist an fehlenden Systemen (PIM, DAM, CRM usw.) und Prozessen. Aber das ist nur die Ausprägung. Die Ursache bzw. darunter liegende Problematik ist ein eher kultureller Mangel. Kultur und Organisation vieler Hersteller sind nicht ausreichend auf den Kunden ausgerichtet, sondern noch immer auf sich selbst. Auf die Optimierung der eigenen Silos. Optimierte Prozesse im Vertrieb, im Marketing, im Produktmanagement. Aber sie sind eben nicht auf das Kundenbedürfnis hin optimiert. Man kann das leicht überprüfen, in dem man sich folgende Frage stellt: Gibt es in unseren Workshops, Meetings und Jour Fixes immer einen „Kunden-Advokat“? Eine dedizierte Person behält immer die Kundenperspektive im Auge, wenn alle anderen bei der Lösungssuche im unternehmensinternen Mikromanagement verloren gehen… Einer darf immer fragen: „Und was bringt das unserem Kunden?“ oder „akzeptiert das unser Kunde, wer erklärt das unserem Kunden…?“.

Notwendigkeit von „Direct-to-Customer“

Wir glauben, dass diese D2C-Denke heute zwingend nötig ist, schlicht weil es möglich geworden ist. Und weil die Kunden (als Menschen!) derartige Erfahungen andernorts machen – zuvorderst im Privatleben. Zum Beispiel bei Miele, Teamviewer oder Picnic, um nicht immer nur die gleichen Namen der amerikanischen Westküste zu nennen. Es geht darum, dass der Hersteller dies in allen Funktionen und Ablaufprozessen verankert, sozusagen aus jeder Touchpoint-Pore atmet. Dafür ist es entscheidend, zu klären, welche Direct-to-Customer-Wege ein Hersteller gehen will und kann. Es gibt nämlich eine Vielzahl an Wegen, und der erste Manager-Reflex, der Griff nach dem Webshop, ist selten ein Glücksgriff.

Also angenommen, Direct-to-Customer ist eine prüfenswerte Option. Was sind dann die relevanten Fragen und denkbare Herangehensweisen? Nachfolgend disktueren wir:

– Warum ist D2C sinnvoll und gewinnbringend?
– Was spricht dagegen?
– Was sind gute Lehrstücke?
– Welche Gestaltungsvarianten gibt es?
– Was sind die Stolpersteine in der praktischen Umsetzung?
– Wann und womit sollte man beginnen?

Start with Why!

Nun, man entwickelt und fertigt die Produkte und Dienstleistungen bekanntlich für die Kunden. Der Kunde zahlt dafür und er verlangt nach Informationen, Service, nach einer Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und Probleme. Und die Kunden haben heute (dank Globalisierung und Digitalisierug) eine viel größere Auswahl, mehr Wissen und eine deutlich höhere Wechselbereitschaft als jemals zuvor. Das gilt in Consumer-Märkten in jedem Fall seit Amazon, Zalando & Co das online-Einkaufserlebnis salonfähig gemacht haben. In B2B-Märkten ist „Digital Commerce“ zwar noch nicht so ausgeprägt, aber die Grundtendenzen der Beschleunigung und Transparenz-Zunahme sind vergleichbar und weitere Entwicklungen unschwer prognostizierbar. In einfachen Worten: Hersteller müssen die Käufer und Anwender ihrer Produkte besser verstehen, ihre „Message“ zum Nutzer bringen und auch dessen Feedback zeitnah bekommen. Die Realität is vielfach gänzlich anders. Hersteller kennen ihre Kunden aus Mangel an Direktkontakt nicht und sie erfahren erst Monate nach Produkteinführung oder bei der nächsten Messe, wie das Produkt in der Anwendung funktioniert und woran es hapert. Der Handel hatte das zwar auch schon gemeldet, aber der Handel „jammert eh immer und will am Ende eh nur simpel Topseller durchverkaufen und mehr Rabatt…“. Wenn der Hersteller keine eigene Echtzeit-Kundenerfahrung macht, beraubt er sich seiner Reaktionsfähigkeit und vor allem zielgerichteter Innovationspotenziale. Wohlgemerkt: Es geht hier noch immer nicht um den Direktverkauf. Es geht hier um den Direktkontakt, den man suchen oder einfach anbieten kann. Beispielsweise durch Messenger-Lösungen (eine inspirierende Auswahl an diesbezüglichen B2B-Praxisbeispielen findet sich zum Beispiel bei www.messengerpeople.com).

Risiken von D2C

Birkt D2C Risiken? Ja. Durchaus. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl verschiedener Risiken, insbesondere für das Bestandsgeschäft und vor allem für die bestehenden (mitunter persönlichen) Beziehungsgeflechte. Die meisten Hersteller suchen den Direktkontakt, sie benötigen ihn um den neuen Marktregeln und -geschwindigkeiten entsprechen zu können. Aktuell liegen jedoch oft mehrere Wertschöpfungsstufen zwischen Hersteller und Anwender. Einkaufskooperationen, Händler, Verarbeiter oder Veredler bilden Filterbenen, die nahezu keine Kundendatendurchlässigkeit erlauben. Konfliktsituationen sind hier vorprogrammiert und auch menschlich. Gerade deshalb ist eine behutsame und strategische Herangehensweise erforderlich. Und Strategie macht bekanntlich die Unternehmensführung.

Die Abwägung von Chancen und Risiken bei D2C-Strategien ist wichtig. Quelle: ecom consulting

 

Es gilt abzuwägen, ob und wo die Chancen die Risiken überwiegen. So simpel das klingen mag, es ist wirklich harte Arbeit, dies zunächst schlüssig für das eigene Unternehmen herauszuarbeiten und dann, mindestens ebenso wichtig, auch argumentativ aufzubereiten. Denn man benötigt vor allem auch eine Kommunikationsstrategie für seinen D2C-Ansatz. Die Skeptiker im eigenen Haus müssen überzeugt und motiviert werden und den Handels- und sonstigen Geschäftspartnern muss die Kannibalisierungsangst genommen werden (soweit das möglich ist). Es hat sich oft bewährt, hier nicht gleich das dickste Brett bohren zu wollen, sondern zum Start ein dünner angelegtes Projekt aufzusetzen, das schnell erste Erfolge und damit auch positive Stimmung erzeugt, zum Beispiel mit Randsortimenten oder ausgewählten Kanälen und Kampagnen.

Fehlen von D2C-Best-Cases

Gibt es Vorbilder, so richtig schöne „Best Practices“? Nein, eher nicht. Anders gesagt: Bitte nicht danach suchen oder davon blenden lassen. „Malen nach Zahlen“ ist bei einem deratigen Paradigmenwechsel nicht möglich. Aber es gibt sehr wohl einen Orientierungsrahmen, Suchfelder zur Bestimmung der eigenen D2C-Strategie. Sozusagen eine Anleitung zum Nachdenken. Consumer-Märkte bieten viele spannende Analogien, bergen aber das Risko des Totschlagarguments „das hat nichts mit unserem B2B-Business zu tun, das funktioniert bei uns alles anders“. Zudem gibt es im deutschen Markt tatsächlich vielmehr „bad practices“. Fast jeder kennt aus der Presse oder aus seinem Netzwerk die Geschichten von verzögerten, oder gescheiterten Digital-Unterfangen. Aber das ist kein Grund zum Verzagen. Und es gibt durchhaus einige Vorzeige-Ansätze. Hilti, STIHL, Osram oder Infineon haben auf ihre jeweils eigene Weise und auf unterschiedlichen Ebenen spannende Direktlösungen erarbeitet. Was in jedem Fall hilft und ein wichtiger Schritt der ersten Phase sein kann, ist, das persönliche Gespräch mit Managern anderer Unternehmen zu suchen, die es bereits versucht haben. Vor allem, um aus erster Hand zu erfahren, welche Fehler man nicht machen sollte. Die „Gebrannten der ersten D2C-Stunde“ sind die besten Ratgeber, die man derzeit finden kann. Wer sonst, wenn nicht sie, können beschreiben, wie es funktionieren könnte. Leider haben wir hierzulande keine öffentlich etablierte Fehlerkultur, so dass man sich diese Fehlereingeständnisse eher im stillen Kämmerlein besorgen muss.
Dies bringt uns zu einer sehr wichtigen Übung. Nämlich der Frage, wie man Analogieansätze und „die Fehler der anderen“ für sich einordnet.

Wer entscheidet, was richtig ist?

Strategie-Bestimmung und Fehlersuche bzw. -vermeidung sollten unbedingt auf zwei unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Die beiden Ebenen sind dabei gleichberechtigt und zumeist auch im Zirkelbezug miteinander verbunden. Beispiel: Ist die Präsenz bzw der Vertrieb über Marktplätze für unser Unternhemen das Richtige? Und wie würde die richtige Umsetzung dafür aussehen – was ist systemisch, prozessual und organisatorisch dafür nötig?

Eine Strategie-Bestimmung muss immer auf zwei Ebenen stattfinden. Quelle: ecom consulting

 

Klingt einfach? Theoretisch ja, aber in der Praxis trifft man leider viel zu oft auf die Ausprägungen „das Falsche richtig gemacht“ oder „das Richtige falsch gemacht“. Beides führt zu unbefriedigenden Ergebnissen. Das absolut Toxische ist hier, dass die beiden Ebenen in den meisten Unternehmen von unterschiedlichen Unternehmensfunktionen entschieden und bearbeitet werden. Das heißt, sie merken den Fehler sehr lange nicht. Denn, das Top-Management muss hier gewichtige Entscheidungen treffen , hat aber kaum oder gar keine Ahnung von der (technischen) Umsetzung. Die Fachbereiche hingegen mühen sich tagtäglich operativ ab, kennen aber den strategischen Kontext nicht. Die bislang vorherrschende, zeitliche und fachliche Trennung von Strategie und Umsetzung ist hier ein Risiko. In anderen Worten: Entscheider und Ausführer müssen bei D2C unbedingt zu Beginn gemeinsam an den Tisch und tendenziell muss mehr strategisches Verständnis und auch Verantwortung in die operativen Einheiten. Nur dann kann die falsch-richtig-Frage permanent fundiert gestellt sowie beantwortet werden.

Das Herzstück der Strategienetwicklug: die Suchpfade

Viele Wege führen zum Kunden. Es gibt direktere Varianten, risikoreichere und aufwendigere. Das Pro & Contra-Profil ist je Branche und Unternehmen individuell.

Die acht D2C-Varianten sind in unterschiedlicher Form sowohl für B2B als auch für B2C anwendbar. Quelle: ecom consulting

 

Wir wollen jetzt nicht auf alle acht Varianten im Detail eingehen. Die meisten Optionen sind selbsterklärend. Deshalb an dieser Stelle nur drei Anmerkungen:

1. Für die meisten Hersteller geht es nicht um „die eine richtige Variante“, sondern um den richtigen Mix von vier bis fünf Varianten. Denn man wird überall da präsent sein (wollen), wo auch die Ist- und Zielkunden sind. Deshalb muss man sich einmal mit allen Optionen auseinandersetzen und dann die richtige Auswahl und Reihenfolge bestimmen.

2. Der zweite Hinweis bezieht sich auf die Option „New Retail“. Neben den digitalen Kanälen wird es zukünftig auch neue und innovative physische Touchpoints geben, an denen die Kunden mit Produkt, Marke und Menschen in Kontakt kommen. Wenn der Handel Produkte nicht mehr ausreichend präsentieren und erklären kann und auch Messen auf dem Rückzug sind, dann rücken alternative Vermarktungskonzepte in den Vordergrund.

3. Eine taktische Variante und Fage ist die Option der Direct-Brand. Damit ist die Abwägung gemeint, ob man die den Direktansatz mit bestehenden Sortimenten, Strukturen und Personen wagen will oder ob man nicht lieber „ausbricht“ und es mit einer neuen Marke versucht. Weil es einerseits risikoärmer anmutet und vor allem auch ermöglicht, dass man auf alte und neue Zielgruppen zugeht. In B2C-Märkten ist dieser Ansatz in den USA bereits seit mehr als fünf Jahren en vogue. Hierzulande sehen wir nun auch vermehrt ähnliche Konzepte (bspw. Cookit von B/S/H oder Avoury von Melitta). Auch B2B-Hersteller sollten diesen grüne Wiese-Ansatz in jedem Fall prüfen

Marktplätze als Regelbrecher schlechthin

Ob man nun D2C-Überzeugungstäter ist oder nicht: Das Erstarken der Marktplätze sorgt in jedem Fall für einen Handlungsdruck. Egal ob Amazon Business, Alibaba, Mercateo oder die vielen Spezialisten wie zuletzt in der Stahl- (XOM) oder Chemiebranche (Chemondis). Überall wird die Neuordnung der Beschaffungsstrukturen vorangetrieben. Es geht dabei nicht nur um die Vertriebsrevolution. Die Marktplätze fungieren als wirkmächtiger Kondensator und Katalysator für das Thema „Direct-to-Customer“ als Ganzes. Vertrieb, Marketing, Kundenservice und Logistik werden hier in ein gemeinsames Erlebnismoment gepresst. AUS SICHT DES KUNDEN, wohlgemerkt. Er sieht hier das Produktangebot (d. h. Bilder, Videos und Text), er validiert gewünschte Leistungsparamer, Spezifikationen und Kompatibilitäten und er vergleicht Lieferfähigkeit und Preis – am Bildschirm, in wenigen Momenten. Der Händler spielt in diesem Augenblick selten eine Rolle, der Vertriebsmitarbeiter des Händlers oder des Herstellers kann auch nicht einwirken. Dies ist ein „single moment of truth“, der passen muss. Und dafür trägt der Hersteller die Verantwortung. „Hersteller“ meint hier explizit das Team aus mehreren Funktionsbereichen, die zusammen spielen müssen. Und im Idealfall wird hier auch der eigene Handelspartner nutzenstiftend integriert. Im Plattform-Zeitalter wird es sich mittelfristig kaum ein Hersteller leisten können, keine tragfähige Marktplatz-Strategie zu haben.

Technologie oder Obstkörbe?

Wenn man entschieden hat, dass man den Pfad „Direct-to-Customer“ gehen will: Worauf kommt es dann an? Wie wichtig ist die Technologie oder geht das auch mit den bestehenden Systemen und ein wenig „gut zureden“? Gilt „Structure follows Strategy“ noch?
Eher nicht. Es muss heißen „Technology limits Strategy“. Ohne entsprechend Technologie und Datenmanagement wird es nicht gehen und viel schlimmer, macht es keinen Spaß. Das mag jetzt seltsam klingen, aber wenn die Mitarbeiter keinen Spaß (und Erfolg) haben, dann wird man perspektivisch auf keinen erfolgreichen Pfad kommen. Und wenn Sie heute Top-Talente gewinnen wollen und denen aber beim Einstellungsgespräch oder – noch schlimmer – in der Einarbeitung offenbaren müssen, dass man keine Systeme, Prozesse und Budgets dafür hat, sprich das Ganze im Jonglier-Modus zwischen SAP und Excel machen soll, dann verliert man erst die Mitarbeiter-Motivation und dann die Mitarbeiter. Unternehmen können viele Start-up- bzw. Google-Methoden kopieren; die ganzen Obstkörbe und Legospielräume nutzen nichts, wenn man nicht die entsprechende Software-Daten-Fundamente bereitsstellt. Und diese lauten CRM, PIM, DAM, Middleware usw. Eine schonungslose Leistungsbewertung der vorhandenen Sytem- und Prozesslandschaft ist zwingend erforderlich.

Der Tech-Spagat im B2B

Investiert man zuerst vorne oder zuerst hinten in der Wertschöpfungskette? Sprich zuerst bei der vernetzten Produktion (Industrie 4.0 und IOT) oder lieber vorne beim Kunden? Der deutsche Mittelstand neigt derzeit eher dazu, in der Produktion anzusetzen und weniger bei den Kunden. Das liegt sicherlich auch an der deutschen Ingenieurs-Tradition und inside-out-Denke und daran, dass Kundenzentrierung bislang wenig Verbreitung fand. Das Management von Kundendaten ist aber viel viel schwieriger, da mehr Unbekannte und Variablen im Spiel sind. Es kann und wird hier keinen DIN-Standard geben, sondern es ist ganz viel Kreativität und Innovationswillen gefragt. Aber eigentlich ist es kein „entweder – oder“, es ist ein „erst das und dann das nächste“: Denn nur wenn man die Daten sowohl auf Produkt- als auch auf Kundenebene richtig sammelt, wird man später intelligente Lösungen wie KI in einer Durchgängigkeit anwenden können.

Lohnt sich all der D2C-Schnickschnack überhaupt? Wenn ja, ab wann? Das ist die große Frage und mitunter das Schwierigste heutzutage. Und zwar weniger der datumsbezogene Teil der Frage. Entscheidend ist einzig und allein, wie man das oder die D2C-Ziele definiert. Und damit kehren wir zur anfangs aufgeworfen Frage zurück, wie sich Erfolg für die unterschiedlichen Beteiligten hier definieren lässt. Wenn man direkte, kurzfristige Umsatz-, Deckungsbeitrags- oder Conversion-Ziele als dominierende Kriterien ausruft, ist das Risiko hoch, dass sich Frustration einstellt. Nicht selten gibt es in Entscheidungsgremien dann die Killerfrage: „Wenn wir hier jetzt eine Milion in Systeme und Personen investieren, wie viele Neukunden oder Mehrumsatz haben wir dann nächstes Jahr?“ Die Antwort darauf lautet: „If the question ist wrong, the answer doesn’t matter“ – oder auf deutsch: Wenn wir jetzt nicht in unsere „Kundendirektversteh-Konzeption“ investieren, dann werden wir in fünf Jahren sehr viel mehr Geld ausgeben müssen, um Kunden zu gewinnen oder zu halten.

Ein Sprichwort aus Omas Zeiten lautete: Was man nicht im Kopf hat, hat man bestimmt in den Beinen. Übersetzt in die heutige Zeit: Was man nicht in den Systemen und Daten hat, hat man hoffentlich in den Budgets für MaFo, F&E und Werbung.