Zukunftskompetenz: Vielfaltsbewusstsein
Diskriminierung und Rassismus sind auch in der heutigen Zeit weiterhin allgegenwärtig, dabei kann Diversität sowohl in der Gesellschaft als auch im Unternehmen viel Vorteile bringen. Prof. Dr. Seon-Su Kim erklärt, warum klare Haltung wichtig ist, wie Diversity authentisch umgesetzt und Vielfalt aktiv gefördert werden kann und welche Chancen und Risiken KI dabei bietet.
bvik: Das Vielfaltsbewusstsein in der Gesellschaft wächst, gleichzeitig erleben wir aber auch mehr Rassismus in Deutschland. Was bedeutet das für die Unternehmen?
Prof. Dr. Seon-Su Kim: Rassistische Aussagen sind tatsächlich sagbarer geworden, das Umfeld widerspricht seltener – entweder weil den Menschen nicht bewusst ist, dass eine Äußerung rassistisch ist, oder weil sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Im Unternehmenskontext ist das hochgefährlich. Wenn Führungskräfte bei Rassismus nicht widersprechen, hat das Auswirkungen auf Kunden und Mitarbeitende. Sie werden langfristig abwandern. Gleichzeitig ist es so für Unternehmen aber schwieriger, sich zu positionieren, weil ihnen möglicherweise Cancel Culture vorgeworfen wird. Trotzdem stehen sie in der Verantwortung, Grenzen zu setzen: Will man wirklich Mitarbeitende haben, die andere verletzen? Dabei kann es hilfreich sein, gedanklich die Seite zu wechseln: Wollen wir, dass unsere eigenen Mitarbeitenden von Kolleg*innen oder Kund*innen rassistisch oder sexistisch beleidigt werden?
Wie reagiert man bei diskriminierenden Aussagen?
Ein kollegialer Umgang ist wichtig: Man sollte mit den Mitarbeitenden oder Kolleg*innen auf Augenhöhe sprechen, nicht von oben herab. Man könnte z. B. ganz sachlich nach fragen, was man mit der (diskriminierenden) Aussage meinte oder warum man sie gemacht hat, und dabei erstmal zuhören und respektvoll bleiben. Allein das aktive Ansprechen kann schon hilfreich sein. Führungskräfte sollten auch selbst Vorbild sein. Echte Haltung ist gefragt, die sich in Maßnahmen zeigt und über Floskeln oder das Aufhängen von Regenbogen-Flaggen hinausgeht.
Welche Maßnahmen können das sein? Wie zeigt man, dass man es mit Diversity ernst meint?
Um den Vorwurf des „Woke-Washings“ zu vermeiden, sind Ehrlichkeit und Transparenz entscheidend. Nur dann entsteht Vertrauen bei den Stakeholdern. Ein pragmatischer Ansatz wäre zum Beispiel eine Umfrage unter den Mitarbeitenden, wie sie sich für Vielfalt einbringen – im Job oder auch privat. Das zeigt Wertschätzung und liefert wichtige Erkenntnisse. Eine zweite Befragung könnte auf das Arbeitsumfeld abzielen: Haben Sie das Gefühl, sich im Unternehmen diskriminierungsfrei entwickeln zu können? Haben Sie schon Diskriminierungserfahrungen gemacht? Das zeigt, wo anzusetzen ist. Wichtig ist, die Erkenntnisse auch zu kommunizieren – selbst wenn es noch Baustellen gibt.
Ist Vielfaltsbewusstsein schwieriger zu fördern als das Bewusstsein für andere Transformationen?
Ja, durchaus. Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen sind oft tief in der Gesellschaft verwurzelt und über Generationen geprägt. Hinzu kommt, dass die Folgen nicht so greifbar sind wie beispielsweise beim Thema Umwelt: Wassermangel oder Überflutungen sind nicht zu übersehen, es ist oft einfacher, dafür zu sensibilisieren als für Diskriminierungen von marginalisierten Gruppen. Diskriminierung gegenüber marginalisierten Gruppen wie z. B. Menschen mit Migrationserfahrung oder Menschen, die sich als LGBTQIA+ identifizieren, die in unserer Gesellschaft immer noch Benachteiligungen erfahren, ist hingegen subtiler. Sie zu erkennen und zu adressieren, erfordert eine bewusste Auseinandersetzung.
Welche Rolle spielt Vielfalt für das B2B-Marketing?
Eine personalisierte Kundenansprache wird im B2B wichtiger. KI erleichtert uns das, weil sie Nutzerdaten schnell auswerten kann. Das fördert auch Bemühungen beim Thema Diversity: Menschen mit bestimmten Merkmalen oder Menschen, denen eine vielfaltsbewusste Gesellschaft wichtig ist, auch wenn sie nicht selbst zu einer marginalisierten Gruppe gehören, lassen sich gezielter ansprechen. Man wird sich im B2B künftig nicht nur mit Marktsegmenten beschäftigen, sondern zusätzlich noch mehr mit den Individuen – in der Kommunikation wie auch bei der Gestaltung von Produkten und Services. Dabei wird man feststellen, dass es Präferenzen oder Bedürfnisse gibt, die bisher noch nicht bearbeitet werden. Unternehmen werden so gezielter auf neue Märkte eingehen können, zum Beispiel, indem sie nationale Feiertage in der Kommunikation berücksichtigen. Letztlich geht es darum, alle 4 Ps diversitätsbewusst zu gestalten.
Wie lässt sich im Marketing das Vielfaltsbewusstsein fördern?
Es gibt viele kleine Stellschrauben, um im Vorbeigehen zu sensibilisieren. Ein Beispiel: Wir führen gerade ein Diversity Audit an der Hochschule durch und fragen unter anderem ab, wie wichtig den Mitarbeitenden ein barrierefreier Zugang zu „Ihrer Veranstaltung“ ist. Darüber machen sie sich im Alltag keine Gedanken, aber jetzt müssen sie es tun. Ähnlich lassen sich Diversity-Aspekte auch an anderen Stellen im Marketing einbringen. Das bringt zwar allein noch nicht den Kulturwandel, aber es ist leicht umzusetzen, und wenn andere Abteilungen mitmachen, lässt sich viel bewegen.
Ist KI in Bezug auf Diversity Management hilfreich?
Das kommt darauf an. KI kann zum Beispiel helfen, den Text von Stellenausschreibungen zu prüfen. Denn die Formulierung entscheidet darüber, ob sich eine bestimmte Gruppe angesprochen fühlt oder nicht. Generative KI kann auch Vorschläge machen, wie Texte diversitätssensibler werden. Ebenso kann die KI dabei helfen, ganze Konzepte und Instrumente auch auf Diversität zu checken und dazu konstruktive Impulse und Vorschläge geben. Wichtig ist, für solche Zwecke gut konfigurierte KI-Tools zu nutzen, damit Ergebnisse konsistent sind und Mitarbeitende einfach damit arbeiten können.
Sie sagen, es kommt darauf an. Gibt es auch Risiken?
Absolut! Und das muss allen, die KI-Tools nutzen, auch bewusst sein. KI ist voller Vorurteile (Bias), gerade gegenüber Frauen und BIPOCs. Bei ChatGPT zum Beispiel erhalten auf die gleiche Frage weibliche und männliche User unterschiedliche Antworten. Auch Bild-Generatoren bauen Verzerrungen ein: Reinigungskräfte werden eher als Frauen dargestellt, erfolgreiche Manager eher als junge, weiße Männer. Es ist wichtig, über solche Tendenzen (Bias) Bescheid zu wissen und KI-Content nicht unkritisch zu übernehmen.
Zukunftslust entfesseln – Trendpaper 2025
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Barrierefreiheit für diverse Teams
Um vielfaltsbewusste Teams zu ermöglichen, braucht es auch eine barrierefreie Unternehmenskultur. Wie Sie Ihr Unternehmen digital Barrierefrei machen, lesen Sie im Blog von Mosaiq!