B2B-Marketing in China: Vorreiter der Digitalisierung

In China funktioniert vieles anders als in Deutschland, auch beim Industrie-Marketing. Wer im Reich der Mitte erfolgreich sein will, muss die großen Spieler des Marktes kennen und sich auf die dortigen Spielregeln einlassen. Erfahren Sie, worauf es bei der B2B-Kommunikation in China ankommt und wie Sie die Potenziale nutzen.

Theresa Stewart, Storymaker – Agentur für Public Relations GmbH
Business Unit Director China

Theresa Stewart ist Sinologin, hat in China, Australien und Großbritannien im Bereich Marketing-Kommunikation gearbeitet und ist in der deutsch-chinesischen Community stark verwurzelt. Durch ihre mehrjährige Tätigkeit im Management der German Centres in Shanghai und Taicang kennt sie den chinesischen Markt, die Kultur und Institutionen ebenso wie die Belange deutscher Unternehmen. Als Director China verantwortet sie das China-Geschäft der Agentur und berät zur strategischen und operativen Umsetzung von internationalen Kommunikations- und Marketing-Kampagnen. Bildquelle: Storymaker

 

Mit strengsten Maßnahmen gegen das Corona-Virus und umfassenden staatlichen Konjunkturimpulsen hat China es geschafft, wieder Optimismus in die Wirtschaft und Unternehmen in China zu bringen. Der chinesische Binnenmarkt hat sich unerwartet schnell erholt, und es zeichnen sich viele Geschäftsmöglichkeiten ab. Spätestens jetzt wird vielen deutschen Unternehmen klar: China ist nicht nur ein äußerst attraktiver Markt, China ist ein Pflicht-Markt! Auch im B2B-Bereich erhoffen sich viele, von der Wirtschaftsmacht der Volksrepublik profitieren zu können. Die Zeiten, in denen das Qualitätsversprechen „made in Germany“ als Marketing-Strategie ausreichte, sind allerdings längst vorbei. Wer in China erfolgreich sein will, muss Kundenansprache und Marketing an die chinesischen Zielgruppen anpassen.

Kulturelle Fallstricke

Werbeanzeigen, eine informative und ansprechende Unternehmenswebseite und regelmäßige Messeauftritte sind vielerorts die Mittel der Wahl beim B2B-Marketing. Richtig umgesetzt haben diese Maßnahmen auch in China ihre Berechtigung und können erfolgreiche Vertriebskanäle sein. Unternehmen sollten sich jedoch davor hüten, die in Deutschland entwickelten Konzepte und Inhalte einfach ins Chinesische zu übertragen. Denn was hierzulande funktioniert, kann in China schnell zu Unverständnis oder sogar zum ungewollten Affront führen.

Feingefühl und ein tiefes Verständnis der chinesischen Sprache und Kultur sind gefragt. Welche Konzepte und Ideen müssen genauer erklärt werden? Welche Bildwelten funktionieren? Wie muss ein Messestand in China aussehen, um Besucher anzulocken? Von diesen Fragen kann Erfolg und Misserfolg der gesamten Marketing-Kampagne abhängen. Befinden sich im Unternehmen nicht schon ausgewiesene China-Experten, sollte unbedingt Hilfe von außen hinzugezogen werden. Eine unüberlegte Übersetzung kann ausreichen, um ein Unternehmen in ein falsches Licht zu rücken und nachhaltigen Schaden anzurichten.

Marketing ist digital

Nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf konzeptioneller Ebene müssen Marketing-Maßnahmen auf die chinesische Zielgruppe abgestimmt werden. Denn B2B-Marketing ist in China wesentlich digitaler und noch vertriebsorientierter als hierzulande. In den letzten Jahren hat sich vor allem die „Super-App“ WeChat als unverzichtbares Tool für erfolgreiche Produktvermarktung etabliert – sowohl im B2C als auch im B2B-Umfeld.

Die App startete vor 2011 zunächst als einfacher Messenger-Dienst, vergleichbar etwa mit WhatsApp oder dem Facebook Messenger. Seitdem hat sie sich jedoch zur wichtigsten digitalen Plattform in China entwickelt. Nutzer können über WeChat Nachrichten verschicken, ein Taxi buchen, Reservierungen und Bezahlungen vornehmen, ohne die App zu verlassen. Und mit der Einführung der sogenannten Mini-Programme, einer Art App in der App, können Drittanbieter und Unternehmen ihre Services direkt in das WeChat-Ökosystem einbinden. Dieses breite Angebot erlaubt es vielen Chinesen, ihren gesamten Alltag über WeChat zu organisieren.

WeChat als Vertriebskanal nutzen

Über eine Milliarde Nutzer zählt WeChat aktuell weltweit, die meisten davon in China. Für Unternehmen bedeutet das: Auch die meisten Einkäufer, Vertriebsmitarbeiter und direkten Ansprechpartner beim Kunden sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf WeChat anzutreffen. Und anders als etwa Facebook in Deutschland wird die Plattform intensiv im beruflichen Kontext genutzt. Über 80 % der Chinesen verwenden WeChat bei der Arbeit, über ein Drittel davon mehr als vier Stunden am Tag. Entscheidend ist dabei vor allem der direkte und persönliche Austausch mit dem beruflichen Netzwerk. Teilt etwa ein Vertriebsmitarbeiter eine Produktneuheit in seinen „Moments“ (vergleichbar mit dem Facebook-Feed), wird diese direkt an die mit ihm verknüpften Einkäufer und Ansprechpartner bei potenziellen Kunden ausgespielt.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Im Vergleich etwa zu einer Anzeige gibt es wesentlich geringere Streuverluste; die relevante Zielgruppe wird direkt angesprochen. Zudem erscheint die Produktvorstellung weniger als Werbung oder gar als Spam, wenn sie von einer persönlichen Bekanntschaft geteilt wird. Nicht selten können über WeChat so direkte Kundenkontakte aufgebaut und konkrete Leads generiert werden.

Sogar die in China kulturell tief verwurzelte Visitenkarte macht WeChat obsolet. „Ni sao wo ba“, also „scanne mich doch einfach“ ist inzwischen die schnelle Aufforderung. Neue Kontakte können einfach den eigenen WeChat-QR-Code scannen und schon ist man nach wenigen Sekunden verbunden, kann Informationen teilen und weitere Kontakte empfehlen.

Official Accounts bieten Kontrolle

Dieser persönliche Kontakt kann ein großer Vorteil sein, es ist jedoch auch Vorsicht geboten. Läuft die gesamte Kommunikation und Leadgenerierung über die privaten Accounts von Mitarbeitern, hat die Geschäftsführung wenig Einblick in die Sales-Aktivitäten. Und verlässt ein Angestellter – und damit sein WeChat-Account – ein Unternehmen, sind auch die mit seinem Account verknüpften Kontakte verloren.

Verhindern lässt sich dies mit einem unternehmenseigenen „Official Account“. Das Unternehmen kommuniziert hier Anwendergeschichten, Messeauftritte und andere Inhalte direkt über den Firmen-Account. Auch Produkt-Kataloge, Links zur eigenen Webseite oder Mini-Programme können auf WeChat hinterlegt werden. Der Official Account bietet zugleich den eigenen Sales-Mitarbeitern vorgefertigtes Material, das sie ihren Leads oder Bestandskunden zukommen lassen können.

Official Accounts müssen allerdings offiziell genehmigt werden, was einigen bürokratischen Aufwand erfordert. Auch hier sollten sich Unternehmen professionelle Hilfe ins Boot holen, die sie sicher durch das Dickicht an chinesischen Formularen und Anträgen navigiert und die Kommunikation mit Tencent, dem Unternehmen hinter WeChat, steuert.

So wird der WeChat-Account zum Erfolg

Hat ein Unternehmen erfolgreich einen eigenen Official Account eingerichtet, gilt es, diesen mit Inhalten zu füllen. Auch hier gibt es deutliche Unterschiede zu den im Westen verbreiteten Social-Media-Kanälen. Generell wird ein Account nur erfolgreich sein, wenn er richtig aufgebaut ist, wenn regelmäßig kommuniziert wird, und wenn er Usern einen echten Mehrwert bietet.

Der Aufbau

WeChat bietet Nutzern eine große Bandbreite an Möglichkeiten, und im Idealfall spiegeln sich diese auf den Official Account wider. Verlinkungen zur Webseite des Unternehmens, sofern diese in China gehostet ist, sollten ebenso Teil des Accounts sein wie interessante und ansprechende Newsletter in WeChat. Diese haben mit einem Tweet oder einem Instagram-Post nicht nur aufgrund des viel längerem Umfangs nur wenig gemein. In der Regel transportiert ein Newsletter wesentlich mehr Informationen, kombiniert Text, Bilder und idealerweise Video und Animationen. Layout, Lesbarkeit, und Anordnung der Informationen kommt daher eine tendenziell größere Rolle zu als bei Facebook und Co.

 

Regelmäßigkeit

Damit der Account präsent bleibt, sollte regelmäßig gepostet werden. Bei der Vollfunktion von WeChat (WeChat Service Account) lassen sich im Monat maximal vier Newsletter distribuieren. Zwei Newsletter im Monat oder mehr sollten es daher schon sein. Spektakuläre Einzelaktionen können zwar erfolgreich sein, langfristig zahlt sich aber nur die kontinuierliche Kommunikation aus. Halten Sie Ihre Kunden stets auf dem neusten Stand und erwecken Sie den Eindruck: hier bewegt sich etwas.

 

Echter Mehrwert für den Nutzer

Das Social-Media-Inhalte dem Nutzer einen Mehrwert bieten sollen, wird auch hierzulande immer wieder beschworen. Bei WeChat aber ist dies absolut essenziell und die Anforderungen sind hoch. Wie sich dieser Mehrwert äußert, ist dabei durchaus unterschiedlich. Ein Best Practice könnte so aussehen: Ein Maschinenhersteller bringt auf der Maschine einen QR-Code an, der auf den WeChat-Account des Unternehmens bzw. ein WeChat-Miniprogramm verlinkt. Hat der Anwender ein Problem oder eine Frage, stellt er diese bei WeChat ein und erhält innerhalb der App in kürzester Zeit eine Antwort. WeChat ist in diesem Fall also nicht nur ein Informations- und Vertriebs-, sondern auch ein Support-Tool. Andere Beispiele können spezielle Angebote und Rabatte, Links zu weiterführenden Informationen, oder ansprechendes Sales-Material sein, mit dem ein Einkäufer etwa intern für das Produkt werben kann. Entscheidend ist, dass der Nutzer die Information nicht als aufdringlich, sondern als hilfreich und nützlich empfindet.

 

Zugang ermöglichen

WeChat ist kein sehr virales Tool. Nahezu genauso wichtig wie guter Content, der zum Teilen animiert, sind QR-Codes „everywhere“. QR-Codes sind der Zugang zum Firmen-Account. Einmal gescannt, kann man den Firmenaccount folgen. Daher ist es unabdingbar die Verwendung der QR-Codes auf sämtlichen Marketingplattformen sei es Webseiten, Broschüren, Anzeigen oder Visitenkarten der Mitarbeiter oder zumindest des Vertriebsteams mitzudenken. Ebenso sollte bei jedem Messeauftritt strategisch eruiert werden, wie man gekonnt auf den WeChat Account durch QR-Codes, Kampagnen oder kleinere Gewinnaktionen verweist.

Potenziale jetzt nutzen

Diese Ausführungen zeigen: WeChat ist ein komplexerer Kosmos, der sich in den neun Jahren seit seinem Entstehen rasant weiterentwickelt hat. Orientierte sich die Plattform anfangs noch an den im Westen verbreiteten Social-Media-Kanälen, hat sie inzwischen längst einen ganz eigenen Weg eingeschlagen. WeChat als Marketing-Tool sicher zu navigieren kann für deutsche Unternehmen daher eine Herausforderung sein. Mit ihrer enormen Popularität und Marktdurchdringung bietet die Plattform jedoch ein enormes Potenzial für effizientes und wirkungsvolles B2B-Marketing. Wer in China erfolgreich agieren möchte, sollte insbesondere aufgrund der aktuellen Reisebeschränkungen, nicht vor der Super-App zurückschrecken. In eine eigene, umfassende WeChat-Strategie zu investieren mag zunächst mit höheren Aufwänden verbunden sein, zahlt sich jedoch aus.

Die Corona-Krise hat auch in China einen weiteren Push für die Digitalisierung gebracht. Teleshopping, Mini-Videos und sogenannte KOCs, Key Opinion Costumers, eine neue Spezies der Influencer, sind im Trend. B2B nähert sich in China rapide den B2C-Methoden an. Dazu gehören auch neue Plattformen und hybride Eventformate.

So gelingt der Re-Start

Im Juni gab es die erste B2B-Messe: Was jetzt tun für einen schnellen Re-Start? Die Abstimmung zwischen europäischem Headquarter und chinesischer Vertriebsgesellschafter gelingt nicht immer – schon allein aufgrund der Sprachbarrieren. Zudem wird die Zusammenarbeit erschwert durch eine stereotype „Schwarz-Weiß-Berichterstattung“ in den westlichen Medien.

Was können Sie tun für eine gemeinsame Marketing-Strategie:

  1. Informiert sein: Welche Themen und Kampagnen laufen auf den chinesischen Kanälen des Unternehmens? Was macht der dortige Wettbewerb? Welche Möglichkeiten bieten die sozialen Medien in China? Wer sind die Follower? Ein Social-Media-Audit kann helfen.
  2. Gemeinsam gestalten: Arbeiten Sie gemeinsam mit den chinesischen Kollegen an Zielen und Kampagnen – über digitale Formate wie Zoom kann man zusammen Kreatives entwickeln.
  3. Differenziertes China-Bild vermitteln: China ist für viele deutsche Unternehmen der größte Auslandsmarkt, aber die Mitarbeiter wissen oft erschreckend wenig über das Land. Informieren Sie über China und holen Sie sich die Kultur ins Haus.

 


Tipp: Video-Interview

In China sind Messen bereits wieder möglich. Michael Kruppe, CEO von SNIEC, spricht über die Wiederaufnahme des Messewesens in Shanghai. SNIEC ist der der einzige chinesisch-deutsche Veranstaltungsort mit westlichem Management und ist der führende internationale Ausstellungsort im Herzen von Shanghai, einer Metropole mit 25 Millionen Einwohnern.

Mehr zum Thema erfahren Sie im Interview mit Michael Kruppe, CEO, SNIEC