„Messen werden wieder stärker auf den Business-Kern konzentriert!“

[no_toc] Im bvik-Gespräch spricht Jörn Holtmeier (AUMA) offen über die Auswirkungen der Corona-Krise und die damit verbunden Herausforderungen für die Messelandschaft. Er erklärt, warum die Messe auch zukünftig ein unverzichtbares Marketing-Instrument sein wird, wie digitale und hybride Services das Messe-Erlebnis verändern und wie der AUMA die Bedeutung des Messeplatzes Deutschland stärken möchte.

Jörn Holtmeier, AUMA
Geschäftsführer

Jörn Holtmeier ist seit Januar 2020 Geschäftsführer des AUMA – Verband der deutschen Messewirtschaft. Der Diplom Betriebswirt war nach seinem Studium mehrere Jahre bei Mercedes-Benz tätig, ehe er leitende Funktionen bei der Daimler AG übernahm. Unter anderem war er seit 2011 stellvertretender Büroleoter der Konzernrepräsentanz sowie Leiter Verkehrs- und Umweltpolitik. Bildquelle: AUMA

 

Inhaltsverzeichnis

bvik: Lieber Herr Holtmeier, Sie sind seit Januar 2020 neuer Geschäftsführer des AUMA. Ihr erstes Jahr stand gleich vollkommen im Zeichen der Corona-Krise. Das haben Sie sich sicher anders vorgestellt. Wie hat dies Ihre Arbeit beeinflusst?

Jörn Holtmeier: In der Tat konnte ich mich nur zwei Monate so einarbeiten und das Haus kennenlernen, wie man sich das üblicherweise vorstellt. Seit März 2020 konzentriert sich der AUMA in seiner Arbeit auf die Bewältigung der Corona-Pandemie. Durch Kurzarbeit und Wechsel ins Homeoffice mussten wir uns auch intern neu organisieren. Es hat mich aber sehr beeindruckt, wie schnell wir einen neuen Rhythmus gefunden haben und wie engagiert die Kolleginnen und Kollegen auch unter diesen neuen Rahmenbedingungen sind. Ursprünglich geplante Projekte mussten zurückgestellt werden und wir haben uns stark auf Lobbyarbeit und Kommunikation konzentriert. Denn wir haben uns gleich nach dem Abflauen der ersten Corona-Welle gemeinsam mit unseren Mitgliedern auf das Ziel verständigt, dass die Politik möglichst schnell wieder Rahmenbedingungen schaffen muss, unter denen Messen wieder erfolgreich und sicher für alle Messeteilnehmer stattfinden können.

Was waren Projekte, die Sie ursprünglich vorantreiben wollten und wie haben sich die Prioritäten nun verschoben?

Holtmeier: Oberste Priorität bleibt natürlich weiterhin, dass wir wieder Messen in Deutschland durchführen können. Unsere Hygienekonzepte haben sich schon im September und Oktober 2020 beim Neustart der Messen bewährt. Darauf gilt es jetzt auch aufzubauen. Die Verordnungen der Länder zur Durchführung von Messen sowie die mit den Behörden abgestimmten Hygienekonzepte existieren ja. Aus meiner Sicht werden wir uns künftig wieder verstärkt mit den schon vor Corona gesetzten Themenfeldern Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Messewirtschaft beschäftigen.

In einer Pressemitteilung des bvik vom März war zu lesen „Coronavirus würgt Wirtschaftsmotor Messe in Deutschland ab“. Wie haben Sie die Monate mit zahlreichen Messe-Verschiebungen und -Absagen erlebt?

Holtmeier: Ja, die Messen wurden sehr früh und sehr heftig getroffen. Bereits im März, einem starken Messemonat mit normalerweise rund 50 Veranstaltungen, mussten fast alle Messen abgesagt werden. Nur gingen wir alle damals von einem begrenzten Zeitrahmen aus und haben dann auf den Neustart-Termin 1. September 2020 hingearbeitet. Und wir konnten in vielen Gesprächen mit Bundesregierung, Landesregierungen und mit Parlamentariern Überzeugungsarbeit leisten und die wichtige Rolle der Messen für den Aufschwung der Wirtschaft verdeutlichen. Insofern war dann der Neustart im September ein echtes Erfolgserlebnis. Aber die steigenden Infektionszahlen im Oktober ließen schon ahnen, was dann tatsächlich folgte. Wir müssen jetzt aber gemeinsam darangehen, Öffnungsperspektiven zu schaffen, gerade für die internationalen Messen mit ihren langen Vorlaufzeiten. Im Prinzip ist die Situation ähnlich wie im Frühjahr, aber wir haben den Vorteil, dass die Politik die Bedeutung von Messen schon verstanden hat und die Veranstalter bewiesen haben, dass Messen sicher durchgeführt werden können. Alle Bundesländer hatten im letzten Jahr Verordnungen erlassen, die die Durchführung von Messen ermöglichen. Ebenso existieren mit den zuständigen Behörden abgestimmte ganzheitliche Hygienekonzepte. Dies muss im Prinzip nur wieder reaktiviert werden.

Die Messe im B2B-Bereich wird schon seit vielen Jahren totgesagt. Laut der jährlichen bvik-Studie „B2B-Marketing-Budgets“ waren Messen in den vergangenen Jahren jedoch noch immer das Marketinginstrument Nummer 1, auf das der größte Budget-Anteil entfiel. Geben Sie uns eine kurze Einschätzung: Wird sich dies zugunsten digitaler Marketing-Services ändern? Wenn ja, inwiefern? Platt gesagt: War Corona der „Tod der Messe“ im B2B?

Holtmeier: Nehmen wir als Beispiel digitale Events: Dazu haben wir Ende 2020 gemeinsam mit den Verbänden VDMA, ZVEI und SPECTARIS eine Umfrage unter ausstellenden Unternehmen gemacht. Bemerkenswert ist, dass über die Hälfte der befragten Firmen bereits digitale Formate getestet haben. In 2020 haben ja allein 50 stattgefunden, die von den Messeveranstaltern organisiert wurden. Gleichzeitig sind die konkreten geschäftlichen Ergebnisse aber offensichtlich eher bescheiden: Die Aussteller haben mit solchen Beteiligungen im Durchschnitt ein Viertel des Nutzens einer realen Messebeteiligung erreicht. 30 % haben sogar nur maximal zehn Prozent erzielt. Digitale Events haben gegenwärtig eine wichtige Funktion, um Kundenbeziehungen aufrechtzuerhalten und Informationen zu vermitteln. Angesichts des offensichtlich deutlich reduzierten Nutzens kann ich mir im Moment aber kaum vorstellen, dass rein digitale Varianten eine vollwertige Alternative werden können. Denn die fehlenden Geschäftserfolge auf digitalen Events müssten dann ja durch zusätzlichen Einsatz anderer Instrumente erreicht werden. Die physische Präsenz von Personen und Produkten hat eben eine große Überzeugungskraft und macht offensichtlich den Unterschied beim geschäftlichen Erfolg aus, und um den geht es letztlich. Die Firmen werden deshalb zumindest mittelfristig wieder stark in Messen investieren. Für mich ist dies auch keine Schwarz-weiß-Betrachtung. „Digitale Brücken“ werden aktuell vor dem Hintergrund von Reisebeschränkungen eine wesentliche Rolle spielen, aber auch zukünftig bestimmte Zielgruppen adressieren. Der starke Kern bleibt dann die physische Messe als Plattform für Austausch und Dialog und das multisensorische Erleben von Produkten.

Seit September finden nun wieder Messen statt. Wie wichtig war dieser Messe Re-Start und wie waren die ersten Erfahrungen auf den Messen?

Holtmeier: Die Veranstalter haben gezeigt, dass sie die notwendigen Gesundheitskonzepte exzellent umsetzen können. Die Aussteller haben erfahren, dass sich Messebeteiligungen auch in Corona-Zeiten wirtschaftlich lohnen, und die Besucher haben gezeigt, dass eine umfassende Bereitschaft besteht, die notwendigen Schutzmaßnahmen einzuhalten. Das sind ganz wichtige Erkenntnisse, die uns für den zweiten Neustart optimistisch stimmen.

Messebeteiligungen sind mit hohen Kosten für Unternehmen verbunden. Die Einhaltung von Hygiene- und Abstandregeln sowie die Beschränkung der Besucher beeinflussen das Messegeschehen zusätzlich, sodass das Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Return on Investment darunter leiden. Verstehen Sie Unternehmen, die deshalb andere Wege gehen und auf Alternativen wie digitale Services, virtuelle Produktpräsentationen u. ä. setzen, statt in Messen zu investieren?

Holtmeier: Natürlich ist verständlich, dass man Alternativen prüft und auch testet. Und es wird auch Firmen geben, die dabei gute Erfahrungen machen. Aber wie gesagt, die Frage ist, wie viele neue Kunden man so gewinnen kann und wie überzeugend man neue Produkte präsentieren kann. Ich gehe davon aus, dass die Ansprache aller Sinne des Kunden ein USP für erfolgreiche Geschäfte bleiben wird. Und dafür braucht man auch in Zukunft Messen. Solche Gelegenheiten werden sich die Unternehmen nicht entgehen lassen. Auch als Medienereignis haben Messen gerade im B2B-Sektor eine ausgeprägte Relevanz. Aber hybride Formate werden deutlich an Bedeutung gewinnen, vor allem wegen der Einschränkungen beim Reisen, die gerade auf internationaler Ebene noch länger bestehen bleiben werden.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Messelandschaft (Messegesellschaften, Messebauer, Unternehmen,…) in den nächsten Jahren und wie kann man diese meistern?

Holtmeier: Messen werden wieder stärker auf den Business-Kern konzentriert. Das schließt emotionale und damit überzeugende Produktpräsentationen keinesfalls aus. Das klingt auf den ersten Blick harmlos. Aber es erfordert viel Veränderung: Stände werden womöglich kompakter. Das könnte neue Geschäftsmodelle bei den Veranstaltern notwendig machen. Das wird auch andere Standkonzepte zur Folge haben, vielleicht auch eine andere Struktur der Standbesatzung. Allgemein wird angenommen, dass Budgets gekürzt werden, das ist angesichts der Wirtschaftslage nicht überraschend. Es geht dabei aber neben der Ausstellerseite auch um Ausgaben etwa für Reisen auf der Einkäuferseite. Wie viele Besucher pro Unternehmen werden kommen und ist es, wenn es weniger werden, wirklich ein Nachteil? Das sind nur einige Beispiele für Herausforderungen, die wahrscheinlich auf uns zukommen.

Wie verändert die Digitalisierung das Messe-Erlebnis und mit welchen Herausforderungen werden die Aussteller zukünftig konfrontiert?

Holtmeier: Das typische Messe-Erlebnis, das Erleben eines Produktes und bestenfalls eines ganzen Unternehmens mit allen Sinnen bleibt aus meiner Sicht erhalten. Es ist quasi der Kern, der USP einer Messe. Ich sehe die Digitalisierung hier in einer Unterstützungsfunktion. Das kann auch ergänzender Einsatz von Virtual oder Augmented Reality bedeuten. Digitalisierung erstreckt sich dabei ja nicht nur auf die Präsenz-Messe an sich, sondern auch auf eine gute und abgestimmte Vor- und Nachkommunikation. Hier können digitale Kanäle und Plattformen für die jeweiligen Branchen eine sehr gute Verknüpfungs- und Austauschmöglichkeit bieten.

Worin sehen Sie Ihre persönlichen Hauptaufgaben und die des AUMA in den kommenden Jahren?

Holtmeier: Erst einmal ist für die AUMA-Mitglieder wichtig, dass wir am Messestandort Deutschland wieder Messen durchführen können. Dabei ist uns ganz wichtig hervorzuheben, welche enorme Bedeutung dieses Marketing-Instrument für unser Land hat. Gerade für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland ist es ja ein enormer Vorteil, wenn internationale Messen in unserem Land stattfinden. Die Welt kommt sozusagen zu uns und davon profitieren natürlich unsere Unternehmen, wenn sie diese Marktplätze quasi vor der Haustür haben. Den Nutzen des Mediums Messe im Marketing-Mix und die hohe Internationalität und Bedeutung des Messeplatzes Deutschland auch zukünftig zu stärken, das sind die Schwerpunkte, die wir als AUMA-Team verfolgen. Außerdem wollen wir, auch angesichts schrumpfender Marketing-Etats, die Weiterentwicklung von Ausstellerförderprogrammen für In- und Auslandsmessen gerade für KMU noch stärker unterstützen und soweit nötig auch neue initiieren.

Der AUMA ist Messen-Themenpartner des bvik, der sich für die Professionalisierung der B2B-Kommunikation einsetzt. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit? Welche Ziele sollten beide Verbände 2021 gemeinsam verfolgen?

Holtmeier: Ich freue mich sehr, dass wir eine ebenso vertrauensvolle wie effiziente Zusammenarbeit haben. Das habe ich auch in Gesprächen mit dem bvik immer wieder festgestellt. Wir sprechen sehr ähnliche Zielgruppen in unserer Kommunikation an, nämlich kommunikationsstarke und messeintensive B2B-Unternehmen. Dementsprechend können wir sehr gut Informationen des jeweils anderen Verbandes unseren Mitgliedern zur Verfügung stellen, zum Nutzen beider Verbände. Auch die Veranstaltungen des bvik sind für uns eine wichtige Informationsquelle. Ein wichtiges gemeinsames Ziel aus unserer Sicht ist in diesem Jahr sicherlich, auch in diesen schwierigen Zeiten die Relevanz von Messen für B2B-orientierte Unternehmen herauszustellen. Denn die starke Akzeptanz von Messen und die Argumente pro Messe, die beide Verbände noch 2019 in Umfragen ermittelt haben, haben sich nicht in Luft aufgelöst. Natürlich nutzen viele Firmen gegenwärtig Alternativen, aber ich bin überzeugt, dass wir ein starkes Comeback der B2B-Messen erleben werden.

 


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