Mit History-Marketing die Marke stärken

History-Marketing ist im B2C-Bereich längst Usus. Doch auch B2B-Unternehmen haben großes Potenzial, den Mehrwert ihrer Firmengeschichte erfolgreich zu nutzen. Dr. Ingo Stader (H&C Stader GmbH) erklärt, wie Sie mit Geschichten Identifikation schaffen und den Markenwert stärken.

Dr. Ingo Stader, H&C Stader GmbH History Communikation
Inhaber & Geschäftsführer

Dr. Ingo Stader war nach seinem Geschichtsstudium und Promotion in der Unternehmenskommunikation tätig – zuletzt als Pressesprecher für die Citibank (heutige Targobank) – bevor er sich im Bereich History-Marketing selbständig machte. „Mit Geschichte Mehrwert schaffen“ ist fortan sein Anspruch. Er setzt sich als Historiker für ein erfolgreiches Firmenjubiläum und eine nachhaltige History Communication ein. Mit Gründung der Geschichtsagentur H&C Stader GmbH History & Communication 2013 professionalisierte er diese Dienstleistungen.

Bildquelle: H&C Stader GmbH

 

Wie viel Geschichte braucht meine Marke? Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Frage – und doch hängen beide Begriffe eng zusammen. Denn was macht eine bekannte Marke aus? Es sind im Kern, die Erfahrungen, die mit dem Namen verbunden sind sowie Erfahrungen, die Vertrauen in die Qualität der Produkte und Dienstleistungen schaffen. Natürlich sind die Definitionen einer Marke insgesamt komplex. An dieser Stelle geht es deshalb nicht um kommunikationswissenschaftliche oder betriebswirtschaftliche Betrachtungen, sondern um einen Blick aus einer ganz anderen Expertenecke: Welchen Beitrag und Mehrwert nämlich die Geschichte für die Marke leisten und wie das in der Praxis am besten gelingen kann.

Sichtbare Geschichte – Historische Marken und Produkte

Dass die Historie bei altbekannten Marken bemüht wird, ist keine neue Idee. Gerade bei den großen, traditionsreichen Consumer-Marken – etwa im Automobilbereich, in Kosmetik, Textil, Sport, Nahrung und Genuss – hat die Historie in der Markenkommunikation seit langem ihren Platz.

Oft wird die Tradition durch alte und historische Werbemotive, Verpackungen oder auch konkrete Produkte aufgezeigt. Automobil-Museen wie in Stuttgart, Stuttgart-Zuffenhausen, München und Wolfsburg bieten darüber hinaus ganze Erlebniswelten rund um ihre bekannten Automarken und den damit in Verbindung gebrachte Lifestyle. Auch „Vintage“-Auflagen zu einem runden Produkt- bzw. Markengeburtstag sind ein beliebtes Mittel: Die Berliner Sparkasse etwa verteilte zu ihrem 200. Geburtstag eine Replik der Heimsparbüchse von 1924 als Werbegeschenk (1924 wurde der erste Weltspartag begangen) und Henkel legte zum Jubiläum von Persil das berühmte Werbeplakat mit der weiß gekleideten Dame aus dem Jahre 1922 neu auf – nur zwei von zahlreichen Beispielen, die auf die lange Tradition ihrer Marken verweisen.

Diese Reminiszenz an vergangene Zeiten durch Vintage ist werbetechnisch effektvoll, noch wirksamer aber ist die Geschichte dahinter, die den Erfolg des Produktes aufgreift: Trotz veränderten Lebensrealitäten, gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen bleibt der Name bestehen und trägt das Vertrauen in das Produkt von Generation zu Generation weiter.

Schätze ans Licht bringen: Geschichte bietet Mehrwert
 für Gegenwart und Zukunft von B2B-Unternehmen.
Bildquelle: H&C Stader GmbH

Über Produkte hinaus – Wie Geschichte Identifikation schafft

Während Geschichte und Tradition bei zahlreichen Marken also ganz selbstverständlich für die Kommunikation genutzt werden, ist es einigermaßen überraschend, dass bei vielen mittelständischen Unternehmen im B2B-Bereich diese Potenziale nicht sichtbar werden. Nun stehen Dienstleistungen und Produkte im B2B-Bereich natürlich nicht so in der öffentlichen Aufmerksamkeit wie große Consumer-Marken, ihre Namen sind außerhalb ihrer Branchen oft kaum bekannt. Welchen Mehrwert also kann hier die Geschichte bieten? Welchen Beitrag können Tradition und Herkunft für die Marke des Unternehmens leisten?

Best Case „Sülzle“

Die Antwort bietet ein Blick auf ein Beispiel aus der Praxis: Der Ursprung des Familienunternehmens Sülzle liegt 140 Jahre zurück, die Anfänge sind eher bescheiden. Zwar werden Unternehmer- und Erfindergeist von Anfang an von Generation zu Generation weitergegeben, doch Weltkriege, Inflation und Währungsreformen hinterlassen immer wieder ihre Spuren. Heute ist die Unternehmensgruppe Sülzle ein bekannter Mittelständler in der Stahlbranche, mit über 1.000 Mitarbeitenden und Stahlbiegebetrieben in ganz Deutschland sowie im Elsass. Hinzu kommt die Diversifikation in neue Tätigkeitsfelder wie Energie.

Das starke Wachstum der Unternehmensgruppe durch Auf- und Zukäufe von Betrieben stellte das Familienunternehmen vor die Aufgabe, die historisch gewachsene Identität des Unternehmens auf die gesamte Gruppe auszurichten. In Projektgruppen und Workshops durchlief Sülzle einen intensiven Prozess, um seine Kernwerte herauszuarbeiten und dann in der Folge im Unternehmen zu verankern. Doch Werte und Leitbilder lassen sich nicht einfach verordnen, damit sie in der Praxis auch gelebt werden. Sie müssen erfahrbar sein – am besten an konkreten Beispielen. Denn Identifikation funktioniert nicht über abstrakte Begriffe, sondern über erfahr- und fassbare, authentische Erzählungen, Charaktere, Erfahrungen, über besondere Erlebnisse und Momente.

Solche Identifikationspunkte finden sich in der Unternehmensgeschichte. Es war daher konsequent, dass die Firma Sülzle in ihrem professionell begleiteten Prozess der Markenbildung auch ihre Geschichte aufarbeiten ließ, um aus der Historie heraus zu belegen, wie die Werte, die sie als Familie bis heute leben, entstanden sind und von Generation zu Generation weitergegeben werden. „Die Wurzeln unseres Erfolgs“ lautet deshalb auch der Titel der jetzt erschienen Firmenchronik. Wurzeln die bei Sülzle bewusst gepflegt werden: Auch wenn durch Zukäufe viele Firmen hinzugekommen sind – neben allen neuen Namen prangt die Wortmarke Sülzle.

Eine Unternehmenschronik lässt die Unternehmensgeschichte aufleben und stärkt die Identifikation.
Bildquelle: H&C Stader Gmbh / Sülzle

Ein verborgener Schatz – Geschichte als Quelle der Markenidentität

„Wir müssen Geschichten nicht erfinden, wir haben sie.“

So wird ein Unternehmen zitiert, das seine Historie professionell aufgearbeitet und für die Kommunikation nutzbar gemacht hat.*

Was für bekannte Consumer-Marken sofort einleuchtet, funktioniert also auch im B2B: Nicht nur die Produktpalette, auch die Identität und der Charakter eines Unternehmens sind historisch gewachsen und zahlen auf die Marke ein. Diese Besonderheiten anhand von authentischen Geschichten aus der Historie herauszuarbeiten und an prägnanten Beispielen festzumachen, schafft einen unverkennbaren Wert für die Marke und Identität eines Unternehmens. Sie beantworten die Frage: Was ist das für eine Firma, mit der ich es zu tun habe? – Eine Frage, die für potenzielle neue Mitarbeitende ebenso relevant ist, wie für Kunden und Lieferanten.

Der Vaillant-Hase

Ein weiteres Beispiel: Auf den Produkten der Firma Vaillant prangt als Logo der bekannte Hase – für sich genommen bereits eine starke visuelle Marke. Doch die Entstehungsgeschichte des Vaillant-Hasen ergänzt das Bild um eine hübsche Erzählung: Der Firmengründer war beim Durchblättern der Zeitung an einem Ostersonntag auf eine witzige Illustration gestoßen – einen Hasen, der aus einem Ei schlüpft. Ihm gefiel dieses originelle Bild so sehr, dass er den Osterhasen 1899 zum Firmensignet machte. Und auch wenn das Logo seither mehrere Modernisierungen erfuhr, so ist es im Kern unverändert. Doch was transportiert diese Geschichte und was sagt sie über den Charakter des Firmengründers aus? Und wie prägend ist diese Geschichte für das Unternehmen insgesamt? Selbst ohne einen näheren Blick in die Unternehmensgeschichte oder auf die Biographie des Firmengründers vermittelt diese originelle kleine Geschichte doch sofort etwas sehr sympathisches und eindrückliches.

Wie anders liest sich eine Unternehmenschronologie auf einer Website, wenn ich mehr erfahre als Jahreszahlen, Umsatzsteigerung und Zukäufe Wenn ich anhand von Geschichten hinter der Geschichte etwas über die Menschen erfahre, die das Unternehmen geprägt haben und anhand von Anekdoten was charakteristisch für die Firma und die Unternehmenskultur ist – sprich: etwas das Emotionen weckt? Das Potenzial solcher Geschichten und Anekdoten liegt in den Archiven, aber auch in den Köpfen ehemaliger und langjähriger Mitarbeitender.

Mut zur Geschichte – Transparenz und Authentizität

Es ist meine feste Überzeugung, dass der Wert der eigenen Geschichte in vielen Unternehmen nach wie vor unterschätzt wird. Bei Unternehmen, die schon in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-45) existierten, besteht zusätzlich oft nach wie vor eine gewisse Scheu vor der eigenen Vergangenheit. Transparenz und eine wissenschaftlich objektive Aufarbeitung sind hier notwendig. Und die Erfahrung zeigt, dass diese Offenheit der Marke nicht schadet, sondern – im Gegenteil – einen wichtigen Beitrag leistet: Sie beweist Verantwortung gegenüber der eigenen Geschichte. Diese Haltung ist heute eigentlich selbstverständlich und deckt sich mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit im Gesamtspektrum der CSR-Aktivitäten.

Zu guter Letzt auch hier ein Beispiel: Ein Bauingenieursunternehmen rief mich an, um über die NS-Vergangenheit des Gründers und Namensgebers des Unternehmens zu sprechen. Das Unternehmen trägt heute noch seinen Namen, ist aber kein Familienunternehmen mehr. Es gab zwar mehrfach Überlegungen zu einem Rebranding, am Ende entschied man sich aber dagegen: der Name sei inzwischen essenzieller Teil der Marke und stehe mit keiner Person oder Familie mehr in direkter Verbindung. So bleibt der Name bestehen – und mit ihm seine Geschichte, die ebenso Bestandteil der Marke ist. Umso wichtiger ist es in so einem Fall, dass dieses Kapitel aufgearbeitet wird und seinen angemessenen Platz in der Firmenchronologie findet. Angemessen bedeutet hier keine Überhöhung oder nachträgliches Beschönigen, aber auch keine Selbstkasteiung, sondern eine objektive Darstellung, die dem Anspruch eines verantwortungsbewussten Unternehmens gerecht wird. Mit einer wissenschaftlich fundierten historischen Aufarbeitung kann man diesen Anspruch erfüllen ohne negative Auswirkungen auf die Marke oder das heutige Unternehmen befürchten zu müssen.

Tradition lebt – mit Geschichte Veränderungen moderieren

„Veränderung tut der Marke nicht gut.“ – ein Satz aus dem Mund eines hochbetagten Eigentümers, der mir im Gedächtnis geblieben ist. Er fiel anlässlich des runden Firmenjubiläums in der Diskussion darüber, ob das Firmensignet – die etwas martialisch wirkende Darstellung eines Mannes mit einem Schutzschild – überarbeitet werden solle. Ein komplexes Thema, bei dem es durchaus viele Gründe gibt, die für Anpassungen und Veränderungen sprechen. Doch gerade bei bekannten Marken erfordern Überarbeitungen Fingerspitzengefühl und werden eher moderat durchgeführt. Selbst bei Übernahmen und Fusionen wird deshalb oft lieber auf eine Mehrmarken-Strategie gesetzt. Natürlich erreicht die Diskussion eine andere Dimension, wenn historische Marken zum Beispiel ein Erbe aus der Kolonialzeit mittragen, das von einer rassistischen Weltsicht zeugt. Hier sind Änderungen an Bild und Namen eindeutig geboten. Doch auch hier gilt: Die Geschichte bleibt und ihre zeitgenössische Aufarbeitung dient der notwendigen Markenüberarbeitung.

Es ist also eine entscheidende Frage, wie mit einem komplexen Erbe umgegangen und wie es in die Kommunikation eingebunden wird. Die Geschichte eines Unternehmens ist umfassend – selbst bei einem kompletten Rebranding bleibt die Frage nach dem „woher“ und den Ursprüngen. Die Chance der Historie liegt darin, diese Veränderungen, Brüche und Neuanfänge sichtbar zu machen und zu erklären. Der Mehrwert daraus ist eine unverwechselbare Geschichte, die das Charakteristische eines Unternehmens zeigt, aber auch den roten Faden, die Kontinuitäten, trotz neuen Namens und Logos – und die so eine Marke wirklich unverwechselbar macht.

Leitfaden

Falls auch Ihr Unternehmen dieses Potenzial für seine Marken-Kommunikation nutzen möchte, empfehlen wir folgende Leitfragen:

  • Wird in der Markenkommunikation die Historie berücksichtigt?
  • Gibt es ein Unternehmensarchiv oder eine Sammlung zur Geschichte des Unternehmens?
  • Wo kommt unser Unternehmen ursprünglich her und wie hat es sich über die Jahrzehnte entwickelt?
  • Welche (Produkt-)Entwicklungen haben das Unternehmen zu dem gemacht, was es heute ist?
  • Gibt es Persönlichkeiten (Gründer, Geschäftsführer, Ingenieure), die das Unternehmen/die Marke nachhaltig geprägt haben?
  • Gibt es „schwierige“ Phasen in der Unternehmensgeschichte?
  • Gab es in der Vergangenheit auch schon (komplette) Rebrandings und, wenn ja, was waren die Gründe dafür?

*Quelle: Herbrand, Röhrig (Hgg.), Die Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation, 2006, S. 188

 


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