Das Thought Leadership Dilemma
Die Meinung und Sichtweisen von führenden Industrieexpert:innen haben im B2B-Umfeld großen Einfluss und damit enormes Potential für das Marketing. Das Problem: Der Thought Leadership Content muss besser werden. Wie und warum, lesen Sie hier.
LinkedIn und Edelman haben Ende 2022 ihre aktuelle “B2B Thought Leadership Impact” Studie veröffentlicht. Darin haben sie 3.600 Entscheider:innen zu ihren Präferenzen bezüglich Content von Meinungsführern ihrer jeweiligen Branche befragt. Die gute Nachricht: Thought Leadership Content (TLC) ist spätestens seit Corona stark gefragt. Mehr als 50% der Befragten gaben in der Studie an, dass sie mehr als eine Stunde pro Woche darauf verwenden, TLC zu konsumieren.
Dieser positive Trend hat aber auch seine Kehrseite: Seitdem die Marketingabteilungen das Thema Thought Leadership für sich entdeckt haben, werden die Executives mit Content überschwemmt. 66% der Studienteilnehmer nehmen seit der Pandemie einen starken Anstieg der Informationsflut war. Und leider ist bei dem Content auch viel Schrott dabei. Weniger als die Hälfte des TLCs liefert den Befragten wertvolle Insights.
Inhaltsverzeichnis
Definition: Thought Leader
Bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, will ich zunächst klären, was „Thought Leader“ überhaupt bedeutet. Der Begriff wird heute in der Marketingwelt inflationär und häufig wenig trennscharf verwendet. Im Deutschen findet man teilweise auch Synonyme wie „Vordenker“ und „Meinungsführer“. Die Definition eines Thought Leaders hat viele Facetten, aber eine ist aus meiner Sicht zentral: Ein Thought Leader bzw. eine Thought Leaderin im B2B-Kontext ist eine Person, die von der relevanten Community bzw. von ihren Peers aufgrund ihrer sichtbaren und nachweislichen Expertise in seinem/ihrem Fachgebiet als Autorität anerkannt wird. Das heißt, der Einfluss auf die Branche entsteht aus einem Mix aus glaubwürdiger Fachautorität und externer Sichtbarkeit. Denn nur, wenn die Community die Expertise auch sehen und nachvollziehen kann, kann etwas wie eine Meinungsführerschaft entstehen. Am Ende definiert demnach die Audience jemanden als Thought Leader und nicht die Marketingabteilung.
Um es noch etwas klarer zu machen, will ich den Begriff des Thought Leaders von artverwandten Begriffen wie dem des Influencers und des Subject Matter Experts abgrenzen – angelehnt an die Matrix von Jeffrey Winter, Industry Executive im Bereich Manufacturing bei Microsoft. Demnach definieren sich Influencer vor allem dadurch, dass sie ihren Lebensunterhalt mit dem Erstellen und Teilen von Inhalten im Internet und auf Social Media Plattformen verdienen. Ihr Ziel ist es meist, eine möglichst große Reichweite aufzubauen. Ihr wichtigstes „Verkaufsargument“ ist ihre Persönlichkeit bzw. sind die Authentizität und die Glaubwürdigkeit, die ihnen die Community zuschreibt. Fachexpertise ist nicht zwingend notwendig, kann aber beispielsweise im Hobby- oder Sportbereich durchaus vorhanden sein. Subject Matter Experts hingegen verfügen über umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten Fachgebiet, das in der Regel eng abgegrenzt ist. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit ihrer beruflichen Expertise. Das öffentliche Teilen von Inhalten und Ratschlägen ist eher ein Add-on, das ihnen den Respekt von Kontakten in ihrer Branche verschafft.
Thought Leader kombinieren diese zwei Aspekte: Sie sind auch einflussreich, aber ausschließlich in ihrem speziellen Fachgebiet. Grundlage ist die tägliche Arbeit in diesem Bereich, die auch ihren Lebensunterhalt darstellt. Durch das regelmäßige Teilen von Inhalten bringen sie ihr Fachwissen und ihre eigene persönliche Sichtweise in die Fachcommunity ein. Ihre Inhalte beschäftigen sich mit aktuellen und zukünftigen Trends der Branche. Durch den Status als Koryphäe ihrer Branche können Thought Leader die Diskussion im Markt beeinflussen, und ihr Wort hat großes Gewicht. Ähnlich wie bei Influencern macht die von der Zielgruppe zugeschriebene Autorität Thought Leader aufgrund der hohen Glaubwürdigkeit gegenüber der Zielgruppe so wertvoll fürs Marketing.
Was ist Thought Leadership Content?
Die Kunst des Thought Leadership Contents besteht darin, das Wissen der Organisation bzw. der Person ans Tageslicht zu bringen und in möglichst ansprechender, nutzerorientierter Weise zu präsentieren. Im Idealfall ist der Content tiefgründig, wertstiftend, relevant, Gedanken provozierend und einzigartig. Wichtig dabei ist, die Kanäle und Content-Formate zu nutzen, welche die Zielgruppe bevorzugt. Denn erst aus der Kombination von gutem Content mit der richtigen Aufbereitung und der optimalen Ausspielung lässt sich der maximale Effekt erzielen.
Neben dem glaubhaften, stichhaltigen Fachwissen, dass der Content vermitteln sollte, scheint idealerweise auch die Person bzw. die Story dahinter mit durch. Der/die Thought Leader:in erklärt also auch, was ihn/sie dazu motiviert bzw. qualifiziert, über ein entsprechendes Thema zu sprechen. Was bewegt ihn oder sie? Implizit muss der Content vermitteln, warum der Leser seine wertvolle Zeit investieren sollte, diesen zu konsumieren.
Will man als Meinungsführer wahrgenommen werden, sollte der Content nicht nur Vorhandenes wiederkäuen, sondern vorausschauend sein und neue Denkansätze bieten. Der Content-Experte Robert Weller formuliert es in seinem Blog treffend so: „Thought Leadership erkennen wir daran, dass zu (m)einem Thema noch keine Suchanfragen vorhanden sind.“ Robert Weller meint, der Content diene dazu, eine noch nicht vorhandene Nachfrage zu generieren, indem er Diskussionen anrege und dadurch auf Probleme bzw. Potenziale aufmerksam mache. Außerdem sollten die Inhalte die Leser bzw. Konsumenten inspirieren und motivieren.
Warum Thought Leadership Content?
Guter Thought Leadership Content hat einen erheblichen Einfluss auf die Markenwahrnehmung und das Kaufverhalten der B2B Buyer entlang des gesamten Entscheidungsprozesses. Zwar führt er nur in den seltensten Fällen zu direkten Geschäftsabschlüssen, aber er hat ein großes Gewicht bei der Anbahnung von Kaufentscheidungen. Denn Entscheider konsumieren ihn nachgewiesenermaßen, um sich über die Trends in ihrer Branche zu informieren und um neue Ideen für ihr Unternehmen zu entwickeln.
Schaffen es Expert:innen, sich als Meinungsführer zu etablieren, können sie Diskussionen in ihrer Kernzielgruppe anstoßen und Themen in einer Weise steuern, dass bestimmte Technologien oder Trendthemen mit der eigenen Person oder Marke verknüpft werden (Mindshare). Gleichzeitig wird man als kompetente Instanz im Markt wahrgenommen und schafft durch die persönliche Autorität direkt Vertrauen. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, neue Produkte zu launchen oder in neue Märkte vorzudringen. So sagen laut LinkedIn 47% der Buyer, dass TLC dazu geführt habe, dass sie schon von einer Firma gekauft haben, die ihnen im Kontext des entsprechenden Produkts vorher kein Begriff war.
Gerade in der heutigen Informationsflut stechen qualitativ hochwertige Beiträge mit persönlicher Note besonders heraus und bleiben eher im Gedächtnis. Regelmäßig veröffentlichte Qualitätsinhalte dienen für das Zielpublikum als Proof Point für die Expertise der Person bzw. des Unternehmens. Man muss sich den Ruf als Meinungsführer durch guten Content verdienen.
Und die Mühe lohnt sich: Laut der Thought Leadership Impact Studie halten 64% der Einkäufer TLC für eine vertrauenswürdigere Informationsquelle als andere Marketingmaterialien oder Produktinformationen. Und das ist wenig verwunderlich, fällt dieser doch in der Regel neutraler und gehaltvoller aus als die Standard-Marketinginhalte. Zudem lässt sich durch TLC die Wahrnehmung einer Marke verändern. So gaben 65% der B2B Buyer in der eingangs genannten Studie an, dass sie schon erlebt haben, dass sich bei ihnen die Wahrnehmung eines Unternehmens durch TLC deutlich zum Positiven verändert hat. 46% der Studienteilnehmer sind sich sicher, dass dieser im Notfall auch helfen kann, den beschädigten Ruf eines Unternehmens wieder herzustellen.
Nicht zuletzt gibt einem (Online) Thought Leadership die Möglichkeit, eine starke Followerschaft bzw. Community aufzubauen. Im Austausch mit der Community lassen sich wiederum wertvolle Hinweise zu den Wünschen und den sich verändernden Bedürfnissen der Käufer gewinnen. Man kann sogar noch weiter gehen und die eigenen Kunden im Rahmen von User Groups und Konferenzen oder sogar bei der Produktentwicklung mit einbinden. Im Idealfall gelingt es, einen direkten Draht zur Kernzielgruppe zu schaffen und mit guten Inhalten Gehör bei ihr zu finden. Vielfach wird dieser Community-Aspekt auch schon im Rahmen von Employer Branding oder Corporate Influencer Programmen genutzt.
Wie muss Thought Leadership Content aussehen?
Nachdem wir jetzt wissen, was TLC ist, welchen Nutzen er bringen kann und wie er nicht aussehen sollte, will ich erklären, wie man es richtig macht. Auch hier hilft ein Blick in die Studie, die besagt, dass:
✔️ 64% der Entscheider:innen sich Content wünschen, der mehr “menschelt”, also die Persönlichkeit des Autors/der Autorin durchscheinen lässt, und vom Ton her informeller ist
✔️ 67% Content bevorzugen, der von einem klar identifizierbaren, respektierten Experten verfasst ist und dessen persönliche Meinung widerspiegelt
✔️ 62% Content präferieren, der sich mit aktuellen Problem aus ihrem Arbeitsalltag beschäftigt statt mit Zukunftstrends, Visionen oder nicht nachprüfbaren Prognosen.
Um wirklich auf die Zielgruppe eingehen zu können, sind natürlich fundierte Kenntnisse zu den Interessen und „Schmerzpunkten“ der eigenen Kunden erforderlich. Darüber hinaus müssen die Expert:innen über eine hohe Fachkenntnis in ihrem Bereich verfügen, wobei das Thema im Einklang mit Lebenslauf und Expertise stehen sollte. Denn nur dann nimmt die Community den Autoren als glaubwürdig wahr.
Weiterhin ist es entscheidend, dass die Inhalte so neutral und Mehrwert stiftend wie möglich sind. Aufgestellte Behauptungen sollten überprüfbar sein bzw. direkt mit Quellen belegt werden. Marketingsprech und platte Produktpromotion haben im TLC hingegen nichts zu suchen. Im Idealfall ist der Content in irgendeiner Form inspirierend. Er darf und soll zum Nachdenken oder Umdenken anregen.
Bei den Kanälen und Content-Formaten sollte man sich daran orientieren, was sich die Zielgruppe wünscht und wo bzw. wie diese sich informiert. Liegt dieses Wissen noch nicht vor, eignet sich zum Start eine Umfrage zum Thema. Sobald das Programm läuft, wird an den Reaktionen ersichtlich, welcher Content ankommt, und welcher nicht. Denn jeder konsumiert Content anders: Der eine bevorzugt Podcasts, der andere Videos und wieder ein anderer vielleicht Longreads. Thought Leadership muss sich auch nicht auf Online-Kanäle oder LinkedIn beschränken. Der Ansatz kann auch Offline-Elemente wie Auftritte als Speaker, das Verfassen eines Buches oder Presseinterviews enthalten.
Und wer jetzt Angst vor dem Aufwand hat: Natürlich können teilweise vorhandene Inhalte als Basis oder Inspiration dienen. Zudem muss nicht alles selbst produziert werden. Es bietet sich zum Beispiel an, auch Inhalte von anderen zu kuratieren, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Gerade im B2B-Bereich in der Industrie empfiehlt es sich, so spitz wie möglich in seiner Nische der Expertise zu bleiben. Denn so ist die Chance am größten, die richtigen Zielgruppen mit seinem Content zu erreichen, und es besteht nicht die Gefahr, in der großen Masse an generellem Bla Bla unterzugehen.
Mit klarem Ziel vor Augen
Bevor man blind mit der Content-Produktion loslegt, sollte eine Strategie bzw. Personal Brand entwickelt werden, die darlegt, wofür der Thought Leader steht und was mit dem Programm erreicht werden soll. Es ist ratsam, die festgelegten KPIs genau wie den produzierten Content dauerhaft zu überwachen, um die Content-Strategie agil anpassen zu können. Unbedingt zu vermeiden sind komplizierte Freigabeprozesse und zu viele involvierte Personen.
Nicht zuletzt braucht es ein wenig Mut, um wirklich auch kontroverse Themen aufzugreifen und den direkten Diskurs mit der Community anzunehmen. Zudem ist eine transparente offene Unternehmenskultur erforderlich, wo Menschen sich authentisch zeigen dürfen, wie sie sind. Es darf und muss nicht immer alles hochglanzpoliert sein. Und natürlich müssen die Thought Leader Leidenschaft für das Thema bzw. das Fachgebiet mitbringen und Lust am fachlichen Austausch in und mit der Öffentlichkeit haben. Ansonsten gilt: Je kreativer die Aufbereitung der Inhalte, desto besser. Deshalb meine Empfehlung: Nicht einfach vom Wettbewerb kopieren, sondern eine eigene Geschichte schreiben, die wirklich zu einem passt. Es empfiehlt sich, die Stories direkt mit den Lebensleistungen und Arbeitserfahrungen der Expert:innen zu verknüpfen.
Das Thought Leadership Dilemma bedeutet: Versucht man, schale Marketinginhalte als Thought Leadership zu verkaufen, so schadet dies der persönlichen Reputation und der Marke. Richtig ausgeführt bietet TLC hingegen eine großartige Chance, ganz nah an die eigenen Kunden heranzurücken und im Idealfall sogar den Grundstein für eine lebendige, loyale Community zu legen. Dies erfordert zwar zunächst einiges an Zeit und Hirnschmalz, im Gegenzug gewinnt man dafür direkten Einfluss auf die wertvollen Kernzielgruppen.
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